Wenn die Mutter als Kind misshandelt wurde, steigt das Risiko, dass ihre Kinder an Asthma, Autismus oder Depressionen erkranken. Das berichten Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin in der Fachzeitschrift The Lancet Public Health*. Eine frühzeitige Unterstützung der betroffenen Mütter könnte helfen, dem entgegenzuwirken.
Das Team um Prof. Dr. Claudia Buß vom Institut für Medizinische Psychologie der Charité konnte auf Basis von Daten von über 4.300 amerikanischen Müttern und ihren Kindern aus 21 Langzeitkohorten belegen, dass bei Kindern von Müttern, die als Kind Misshandlung erfahren haben, häufiger Gesundheitsprobleme auftreten. Als Misshandlung verstehen die Wissenschaftler:innen körperliche, emotionale und sexuelle Misshandlungen oder Vernachlässigung durch einen Elternteil oder eine Betreuungsperson, die zu einer körperlichen oder emotionalen Schädigung beziehungsweise einer drohenden Schädigung eines Kindes führen.
Genetische Risiko-Übertragung unwahrscheinlich
Demnach haben Kinder von Müttern, die negative Erlebnisse berichteten, ein höheres Risiko, an Asthma, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus zu erkranken. Diese Kinder weisen auch häufiger Symptome und Verhaltensweisen auf, die mit Depressionen und Angststörungen in Verbindung stehen. Zudem haben Töchter dieser Mütter ein höheres Risiko, an Fettleibigkeit zu erkranken, als deren Söhne. „All diese Zusammenhänge sind unabhängig davon, ob die Mutter dieselbe jeweilige Diagnose erhalten hat“, erklärt Prof. Buß, leitende Autorin der Studie. „Das spricht gegen eine genetische Übertragung des jeweiligen Krankheitsrisikos.“
Hinweise auf Einfluss von Stresshormonen
Es gebe Hinweise darauf, dass negative Erfahrungen in der Kindheit die mütterliche Biologie während der Schwangerschaft beeinflussen können, zum Beispiel durch Stresshormone. Das kann sich auf die Entwicklung des Fötus auswirken. Solche biologischen Veränderungen sind stärker ausgeprägt, wenn die Mutter in Folge der traumatischen Erfahrungen eine psychische Erkrankung entwickelt hat, beispielsweise eine Depression. Eine beeinträchtigte psychische Gesundheit der Mutter kann sich auch nach der Geburt auf den Umgang mit ihrem Kind auswirken, was wahrscheinlich ebenso für die generationsübergreifenden Effekte von Bedeutung ist.
Erste Studie, die mehrere Krankheiten untersucht
„Unseres Wissens nach ist dies die erste Studie, bei der mehrere Krankheiten gleichzeitig in Bezug auf frühe Traumata der Mutter in einer großen soziodemografischen und ethnisch vielfältigen Stichprobe untersucht wurden“, erläutert Dr. Nora Moog, ebenfalls vom Institut für Medizinische Psychologie der Charité und Erstautorin der Publikation. Entsprechend konnten die Forschenden zeigen, dass betroffene Kinder mit einer größeren Wahrscheinlichkeit mehrere körperliche und psychische Leiden entwickelten. Auch ist das Risiko umso höher, je schwerwiegender die mütterlichen Erfahrungen in der Kindheit waren. „Gleichzeitig möchte ich betonen, dass unsere Ergebnisse nicht bedeuten, dass alle Kinder von Müttern mit negativen Kindheitserfahrungen automatisch gesundheitliche Probleme bekommen“, ordnet Prof. Buß die Befunde ein. „Das Risiko ist zwar erhöht, es muss aber nicht zwangsläufig in einer Erkrankung münden.“
Wichtig: Frühe Intervention
Was folgt daraus? Es sei „sehr wichtig, dass wir betroffene Mütter und Kinder frühzeitig identifizieren“, sagt Prof. Buß. So könnten Ärztinnen und Ärzte im Rahmen von pränatalen oder kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen auch die Kindheitserfahrungen der Eltern thematisieren und Kontakt zu verschiedenen Unterstützungsprogrammen oder Beratungsstellen herstellen. Von einer frühen Hilfe würden dann gegebenenfalls zwei Generationen profitieren: der Elternteil, der Misshandlung erfahren hat und möglicherweise an gesundheitlichen Folgen leidet, und das Kind, bei dem Krankheiten verhindert werden könnten.
Und was ist mit den Vätern? Kindheitserfahrungen des Vaters finden verhältnismäßig wenig Beachtung. Es gebe jedoch Hinweise darauf, dass diese ebenfalls an die nächste Generation weitergegeben werden können, wobei sich die Übertragungsmechanismen teilweise von denen der Mütter unterscheiden. Auch diesen Forschungsfragen möchten die Wissenschaftler:innen künftig detaillierter nachgehen. (rd)
Moog N et al. Intergenerational transmission of the consequences of maternal exposure to childhood maltreatment – a United States nationwide observational study of multiple cohorts in the ECHO program. The Lancet Public Health 2023 Feb 23. doi: 10.1016/S2468-2667(23)00025-7