Das puzzleartige Computerspiel Tetris hilft Menschen bei der Bewältigung von Traumafolgen. Zu diesem Schluss kommt ein Team der Ruhr-Universität Bochum zusammen mit einer Forscherin des Karolinska Institutet in Schweden nach einer Studie mit 20 Patientinnen und Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Bei vielen von ihnen ging die Anzahl sogenannter Flashbacks nach der spielerischen Intervention zurück.
Unwillkürlich wiederkehrende bildliche Erinnerungen an die traumatischen Erlebnisse zählt zu den gravierendsten Symptomen der PTBS. Diese lasse sich mit den verfügbaren Therapien gut behandeln, so Henrik Kessler, Oberarzt und Traumatherapeut. „Allerdings gibt es viel mehr Patienten als Therapieplätze“, erklärt er die Suche nach symptomlindernden Methoden außerhalb der konventionellen Behandlungen.
Vor rund zehn Jahren fand Emily Holmes mit ihrem Team heraus, dass das Computerspiel Tetris durch Horrorfilme ausgelöste Flashbacks bei gesunden Personen unterdrücken kann, wenn es kurz nach dem Betrachten des Filmes gespielt wird. In der aktuellen Studie testeten die Wissenschaftler nun, ob dieser Effekt auch Patienten mit PTBS helfen kann, bei denen die Ursache der belastenden Erinnerungen oft Jahre zurückliegt.
An der Studie nahmen 20 Patienten mit komplexer PTBS teil, die zu einer regulären Therapie für sechs bis acht Wochen stationär in der Bochumer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie waren. Neben ihrer Einzel- und Gruppentherapie absolvierten sie zusätzlich die spezielle Studien-Intervention: Sie schrieben eine ihrer belastenden Erinnerungen auf ein Blatt. Dann zerrissen sie den Zettel – ohne über den Inhalt zu sprechen – und spielten anschließend für 25 Minuten Tetris auf einem Tablet.
Ergebnis: Insgesamt ging die Anzahl der Flashbacks für die jeweils in den Blick genommene Situation um durchschnittlich 64 Prozent zurück, heißt es in einer Pressemitteilung er Ruhr-Universität Bochum. Flashbacks, deren Inhalt nie „fokussiert“ wurden, gingen nur um elf Prozent zurück. Die Intervention wirkte insgesamt bei 16 der 20 getesteten Patienten.
Als Grund für die Wirkung wird folgendes angenommen: „Wenn Patienten sich detailliert ein Bild der belastenden Erinnerung machen, aktiviert das vermutlich Gebiete für räumlich-bildliche Verarbeitung im Gehirn; vergleichbare Areale könnten auch für das Spielen von Tetris bedeutsam sein.“ Beide Aufgaben benötigten also vergleichbare und begrenzte Ressourcen, es kommt zur Interferenz, zur Überlagerung. „Immer wenn ein Patient den Inhalt eines Flashbacks bewusst wiedererinnert, wird die damit verbundene Gedächtnisspur kurzzeitig labil. Wenn in dieser Zeit eine Interferenz stattfindet, könnte die Gedächtnisspur abgeschwächt wieder eingespeichert werden“, vermuten die Wissenschaftler.
Die Forscher hoffen, aus dem Ganzen eine Behandlung ableiten zu können, die Menschen auch allein durchführen könnten, wenn kein Therapieplatz verfügbar ist. „Die Intervention kann jedoch eine komplexe Traumatherapie nicht ersetzen, sondern lediglich ein zentrales Symptom, die Flashbacks, lindern“, betont Kessler. Noch allerdings bedarf es weiterer und vor allem größerer Studien, an denen bereits gearbeitet wird.
Originalpublikation: Henrik Kessler, Emily A. Holmes, Simon E. Blackwell, Anna-Christine Schmidt, Johanna M. Schweer, Anna Bücker, Stephan Herpertz, Nikolai Axmacher, Aram Kehyayan: Reducing intrusive memories of trauma using a visuospatial interference intervention with inpatients with Posttraumatic Stress Disorder (PTSD), in: Journal of Consulting and Clinical Psychology, 2018, DOI: 10.1037/ccp0000340