Um Emotionen, wie sie entstehen und womit man sie beeinflussen kann, ging es bei einem Symposium im AMEOS Klinikum Dr. Heines Bremen. Rund 150 Fachleute diskutierten dort die Möglichkeiten der Emotionsregulation durch psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung. Beispielhaft erörterten sie Therapiemethoden bei Depression, Antidepressiva wurden sehr skeptisch beurteilt. Das AMEOS Klinikum organisierte die Fortbildung gemeinsam mit dem Christoph-Dornier-Institut.
BREMEN. Dr. Thomas Lang, Leiter des Christoph-Dornier-Instituts in Bremen, gab eine Einführung in das Thema. Er bezeichnete Emotionen als „bewertende Stellungnahme eines Organismus zu seiner Umwelt“. Voraussetzung sei die Wahrnehmung einer Aktion, die daraufhin bewertet werde und zu einer Reaktion führe. Emotionen seien somit anpassende Verhaltensweisen. Bei psychischen Störungen könne diese Fähigkeit verloren gehen. Im Rahmen der Psychotherapie könne man aber beispielsweise Emotionen regulieren. Wie das funktioniert, darüber berichtete Dr. Sylvia Helbig-Lang.
Die Leiterin des Instituts für Psychotherapieausbildung an der Universität Hamburg beschäftigt sich im Rahmen ihrer Habilitation mit diesem Thema. „Emotionsregulation erfordert ein ganzes Bündel von Fähigkeiten, die es im Laufe des Lebens zu erlernen gilt“, erklärte Helbig-Lang. So könne man eine bereits bekannte unangenehme Situation vermeiden, versuchen, sie zu modifizieren oder sie neu bewerten. Seien dennoch unerwünschte Emotionen aufgetreten, könne man etwa mit Entspannung und anderen positiven Maßnahmen reagieren. Emotionen zu unterdrücken sei jedoch keine Lösung. Denn „Personen, die dazu neigen, haben öfter psychische Störungen“, so die Psychotherapeutin. Menschen mit sozialer Phobie zeigten oft übertriebene Emotionen. Die Unfähigkeit zu positiven Emotionen sei dagegen für eine Posttraumatische Belastungsstörung charakteristisch. Ursachen für Regulationsstörungen lägen bei der Wahrnehmung (z.B. bei Essstörungen) und der Benennung von Emotionen (z.B. bei Panik-Patienten). Ebenso könne es Probleme bei der Auswahl geeigneter Strategien für die Emotionsregulation geben.
Ein therapeutischer Ansatz sei die Emotionsfokussierte Therapie (EFT) nach Greenberg. Hierbei lernen die Patienten, unangenehme Emotionen mit der Unterstützung des Therapeuten wahrzunehmen, zu reflektieren und sie schließlich durch andere Emotionen auszutauschen. Als weitere Behandlungsmethode nannte Helbig-Lang das Training emotionaler Kompetenzen (TEK), etwa Strategien zur Steigerung des Selbstwertgefühls. Professor Dr. Uwe Gonther berichtete anschließend aus seiner Erfahrung mit der medikamentösen Therapie bei Patienten mit Depressionen: „Ich bin im Laufe der letzten Jahre immer skeptischer gegenüber Antidepressiva wie den Selektiven Serotonin Rezeptor Inhibitoren (SSRI) geworden“, sagte der ärztliche Direktor des AMEOS Klinikums Dr. Heines Bremen. Er kritisierte insbesondere die Lehrmeinung, Depressionen seien Ausdruck einer mangelnden Botenstoff-Balance des Serotonins im Gehirn. „Es ist der Industrie jahrelang gelungen, uns diese Scheinwissenschaft glauben zu machen. Ich hatte keine Erfolge mit diesen Medikamenten“, erklärte Gonther.
Ebenso kritisch äußerte sich Dr. Peter Ansari. Der Humanbiologe hat mehr als zehn Jahre zum Thema Depression geforscht und seine Promotion über die Geschichte der Antidepressiva geschrieben. Darin beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Frage: Helfen Medikamente bei Depressionen? Im Vortrag sprach er über das in der Öffentlichkeit hochgelobte „Glückshormon“ Serotonin. Sein Urteil über den Botenstoff ist ebenso überraschend wie niederschmetternd: „Mit Antidepressiva vom SSRI-Typ gelingt es zwar zuverlässig die Serotoninkonzentration im Körper zu steigern. Das heilt aber keine Depression!“ Eine Studie an der Universität München von 1996 belege, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Serotoninspiegel in Blut, Urin und Hirnflüssigkeit und einer Depression gibt. Trotz der über fünfzigjährigen Forschung habe man weder einen Biomarker zum Nachweis der Depression noch ein Zielmolekül, auf das potenzielle Arzneistoffe einwirken könnten, gefunden. Obwohl bei mehreren Mitteln bedeutende Neben- und unerwünschte Wirkungen (erhöhte Suizidgefahr bei Jugendlichen) auftraten, hätten sich die SSRI seit den 1990er Jahren auf dem Markt behauptet. Als Grund für die enorme Verbreitung nannte Ansari großangelegte Marketingkampagnen, mit denen beispielsweise das Mittel Prozac unter Ärzten und Journalisten in den 1980er Jahren angepriesen wurde. Seine Wirksamkeit sei mit der „Serotonin-Hypothese“ erklärt worden (s.o.) „und dies, obwohl sie damals schon widerlegt war“, betonte Ansari.
In Deutschland habe Prozac wie zwei weitere SSRI Mitte der 1990er Jahre „nur mit Ach und Krach die Zulassung geschafft“, betonte Ansari. Mehrere (Meta-) Studien des US-amerikanischen Placebo-Forschers Irving Kirsch zeigten, dass Antidepressiva häufig nur aufgrund des Placebo-Effekts wirkten. Und wenn man Hirnforscher Ansari glaubt, kommt es noch schlimmer: „Patienten, die solche Medikamente absetzen, leiden teilweise unter Symptomen, die der Krankheit ähneln, wodurch das Absetzen über Wochen verzögert wird“. Um die für manche unfassbaren Thesen besser zu verstehen, verwies der Psychotherapeut auf das Buch, das er gemeinsam mit seiner Frau Sabine Ansari, einer Heilpraktikerin, verfasst hat: „Unglück auf Rezept – die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen“, das beim Klett-Cotta Verlag im September 2016 mit der ISBN 978-3-608-98060-8 erschien und 16,95 Euro kostet. Ein Link zu seiner Vortragsdatei findet sich auf der Internetseite des AMEOS Klinikums unter: www.ameos.eu/standorte/ameos-west/bremen/ameos-klinikum-dr-heines-bremen/aktuelles/.
Dr. Heidrun Riehl-Halen
Was Leitlinien-Experten raten
Im Oktober 2016 wurde eine neue „Leitlinie“ verabschiedet, die Experten-Empfehlungen zur Behandlung bei Depression enthält. Sie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung: Bei leichten Depressionen sollen demnach neben einem abwartenden Beobachten zunächst niedrigschwellige Angebote wie allgemeine Beratungen, Selbsthilfebücher oder Onlineprogramme eingesetzt werden. Blieben die Symptome länger als zwei Wochen oder verschlechterten sie sich, solle eine Psychotherapie begonnen werden. Für Medikamente könnten bestimmte Indikationen (ausdrücklicher Wunsch des Patienten, gute Erfahrungen bei vorhergehender Behandlung mit Antidepressiva) sprechen. Menschen mit mittelschwerer Depression solle entweder eine Psychotherapie oder eine Behandlung mit Antidepressiva angeboten werden. Eine Kombination beider Verfahren bringe keine Vorteile. Bei schweren Depressionen ist den Experten zufolge eine kombinierte Behandlung aus Medikamenten und Psychotherapie am wirksamsten. Weitere Informationen für Patienten im Internet: www.patienten-information.de/patientenleitlinien/patientenleitlinien-nvl/html/depression. (hrh)