Berühmte Paare und
psychische Krankheit

Virginia und Leonard Woolf bei ihrer Hochzeit 1912.

„Wir können uns in der Literatur spiegeln“: Marita Lamparter bietet Seminare an über berühmte Schriftsteller-Paare und ihren Umgang mit psychischer Erkrankung.

Ein Ehepaar, ein schizophrener Sohn, der sich umbringt, eine Beziehung, die in der Folge zerfällt – zwei Menschen, die am Ende doch wieder zusammenfinden. „Schicksal“ hat Tim Parks dieses Buch genannt. „Großartig beschrieben“, fand Marita Lamparter. Für die Literaturwissenschaftlerin, Peerbegleiterin und Angehörigenberaterin war dieses Buch der Auslöser, in der Literatur nach Erklärungen und Strategien für das Leben von Familien zu suchen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind – und daraus Seminare zu stricken.

Virginia Woolf und Sylvia Plath

Nachdem sie 2017 das Verhältnis von James Joyce und seiner an Schizophrenie erkrankten Tochter Lucia zum Thema eines Seminars des Hamburger Angehörigenverbandes machte, widmete sie sich zuletzt dem Verhältnis von Paaren, und zwar am Beispiel der Ehemänner zweier berühmter psychisch kranker Schriftstellerinnen: Leonard Woolf, verheiratet mit Virginia Woolf, sowie Ted Hughes, dem Mann von Sylvia Plath.

Nachdem sie zunächst in der deutschen Literatur nicht fündig wurde, identifizierte Lamparter bei den Woolfs sowie Plath/Hughes zwei grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen von Paaren an die Erkrankung. Virginia (1882-1941) und Leonard Woolf (1880-1969) heirateten vergleichsweise spät, mit Anfang 30.

Sie blickten der Krankheit ins Gesicht.

Marita Lamparter

In einer Zeit ohne Medikamente versuchten sie ihr mit „Bordmitteln“ beizukommen, beschreibt es Marita Lamparter. Leonard widmete der Pflege seiner Frau viel Zeit. Er arbeitete sogar einen „Lebensführungsplan“ aus, der gute Ernährung, viel Ruhe und die Regelung ihrer Besuche vorsah. Das sei „Bevormundung“, schimpften Feministinnen, und auch im Angehörigenseminar wurde das strenge Regiment des Ehemanns kritisiert. „Aber ich glaube, letztlich war es schlau, es erinnert ja an heutige Stationspläne in Kliniken“, so Marita Lamparter.

Offene Gespräche in der Bloomsbury Group

Virginia lebte über 20 Jahre vergleichsweise stabil und war sehr produktiv und kreativ, bis sie sich 1941, 59-jährig, tief depressiv und in Sorge vor einer neuerlichen psychotischen Episode, das Leben nahm. Weitere Besonderheit dieses Paars: Sie hatten einen großen Freundeskreis und waren Mitglied der Bloomsbury Group, einer Gruppe von Künstlern und Intellektuellen. Über die Krankheit, in damaliger Zeit ein Tabu, wurde dort offen gesprochen.

Freunde sind wichtig für Distanz und Relativierung, sonst isoliert man sich immer weiter.

Marita Lamparter

Freunde hatten Sylvia Plath (1932-1963) und Ted Hughes (1930-1998) weniger. Und Ted Hughes habe wohl auch wenig über die Krankheit seiner Frau gewusst, die sich im Alter von
30 Jahren und schwer depressiv das Leben nahm. Die Schuld dafür schrieben Feministinnen, die sie als unterdrückte Hausfrau sahen, dem damals schriftstellerisch erfolgreicheren Ted Hughes zu, der kurz vor ihrem Tod eine Affäre begonnen hatte. Er war schon damals im Bekanntenkreis und in der Literaturwelt dämonisiert worden: Er stigmatisiere seine begabte Ehefrau Plath, sei Auslöser für ihre Erkrankung. Eine Trennung hätte Heilung bedeutet, wurde gemutmaßt. Doch: Falls in solchen Fällen dann eine tatsächliche Ablösung folge, könne dies ebenfalls zur Katastrophe führen, so Lamparter: „Wenn bewusst wird, es liegt nicht am Partner, droht oft ein Suizid.“

Paare “verschrauben sich”

Ein anderes, ausgewogeneres Bild der komplizierten und innigen Künstlerbeziehung lieferte 2015 die Autorin Connie Palmen in „Du sagst es“. In dem Buch beschreibt Palmen die komplexe Verstrickung der beiden. Deutlich wird dies in einem Zitat von Ted Hughes, der seine Beziehung spät literarisch in den „Birthday letters“ verarbeitete. „Sie konnten nicht wissen, dass ich alles, was sie sah und fühlte, genau so erfuhr, als sähe und fühlte ich es selbst. Ihr Schmerz war mein Schmerz, ihre Ängste waren meine Ängste, nur reagierte ich anders darauf.“ Das sehe sie bei Paaren oft, dass sie sich „verschrauben“, wie es Marita Lamparter nennt. Diese Strukturen des Umganges von Paaren im Angesicht einer schweren psychischen Erkrankung fänden sich bis heute in der Realität vieler Familien.

Angst vor Rechtfertigung

Überhaupt, die Rechtfertigungen gegenüber Außenstehenden und Freunden, etwa dafür, jeden Tag in die Klinik zu gehen. „Moderne Dogmen“, wie Lamparter es nennt. Folge solcher Art von Unterstützung sei dann häufig, dass sich die betroffenen Angehörigen aus Angst, sich wieder rechtfertigen zu müssen, gar nicht mehr äußern würden. Jeder müsse seinen eigenen, individuellen Weg finden. Der Rat „Du musst etwas für Dich tun!“ oder „Du musst mal in Urlaub fahren!“ etwa komme schlicht zu früh, wenn der Angehörige gerade in der Klinik aufgenommen worden ist. „Das ist ein längerer Prozess, und mitten im akuten Krankheitsschub wird keiner seinen Partner allein lassen und einen Traumurlaub machen“, so Lamparter.


„Das Schöne und Hilfreiche an der Literatur ist, dass hier Worte für psychische Zustände gefunden wurden“, so Marita Lamparter. „Wir können uns in der Literatur spiegeln und wenn wir über Schriftsteller oder literarische Figuren sprechen, sprechen wir auch auf eine gute Art, wie ich finde, über uns selbst.“

Anke Hinrichs

Die Buchtipps von Marita Lamparter: „Die Glasglocke“ von Sylvia Plath („Ihr einziger Roman mit autobiografischen Zügen“) sowie „Mrs Delloway“ von Virginia Woolf („Ein Klassiker der Innenwelt-Beschreibung“). Neu: Handkes Erzählung „Wunschloses Unglück“ sowie „Die Enflohene“ von Violaine Huisman.

Aus: Eppendorfer 1 / 2020