Kunst fühlen

Stephanie Baden, hidden landscape - verborgene Landschaft 12, 2015/2022 Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025Stephanie Baden, hidden landscape - verborgene Landschaft 12, 2015/2022 Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Bremen: Inklusives Team präsentiert in der Kunsthalle
Ausstellung der teilhabenden Art

Hat man den Titel erst einmal geschafft, ist eine Hürde schon überwunden: „Kunst fühlen. Wir. Alle. Zusammen.“ lautet der sperrige Name der ansonsten barrierearmen Ausstellung in der Bremer Kunsthalle. Absicht oder Zufall? Ganz egal, wenn man erst einmal drin ist. Was dann nämlich kommt, ist richtig gute Kunst. Die neue Perspektiven eröffnet, die auch Spaß macht, die zum Nachdenken und Austausch anregt.

Alte Meister hängen dort neben zeitgenössischer Kunst, die Wandtafeln sind in möglichst einfacher Sprache gehalten. In manchen Räumen hängen die Bilder niedriger als gewohnt – eben damit auch Menschen sie gut sehen können, die kleinwüchsig sind oder einen Rollstuhl nutzen. Es gibt ein taktiles Bodenleitsystem, es gibt eine Degas-Plastik als Tastmodell zum Anfassen. Auch vor der großen Matisse-Wand steht ein Tastmodell, mit dem sich Blinde die Gemälde haptisch zusammensetzen können. Stück für Stück, versteht sich – und nicht auf einen Blick, wie es bei Menschen mit Sehvermögen der Fall ist.


Eine neue Welt eröffnen auch die Wandarbeiten von Peter Schloss: Texte in Brailleschrift, die nicht übersetzt sind, sodass nur Kundige lesen können, was dort steht – und alle anderen eben Unterstützung brauchen. Doch auch für Blinde eröffnet Schloss’ Arbeit neue Perspektiven: Ausgehend von dem Gedanken, dass die Brailleschrift keinen Fettdruck kennt und auch keine Kursivschreibung, nutzt Schloss Materialien, die sich unterschiedlich anfühlen und so auch der Brailleschrift ganz neue Texturen geben.

Materialien, die auch der Brailleschrift ganz neue Texturen geben


Eine Perspektive, die nur auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, bei weiterem Nachdenken für Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit aber brutal alltäglich ist, gibt der Dresdener Künstler Eric Beier: Er beschäftigt sich mit den Materialien, die ihn täglich umgeben und mit denen er sich zwangsläufig auseinander setzen muss, weil er aufgrund einer Querschnittslähmung den Rollstuhl nutzt. Ein großer Sack mit Einmal-Kathetern, Gemälde von Spritzen, sehr viel Plastik: „Es sind Hightech-Produkte, die trotzdem Wegwerfartikel sind“, sagt Beier. „Und ich muss eine Beziehung zu diesen Artikeln aufbauen.“ Eben weil sie ihn täglich umgeben und er auf sie angewiesen ist, führen sie ihm und damit seinem Publikum auch die Fragilität einer Existenz mit Behinderung vor Augen, denn diese Behinderung und der Umgang mit ihr müsse jeden einzelnen Tag organisiert werden, so beschreibt er es. Was, wenn diese Artikel nicht da wären?

„Menschen können trotz Behinderung funktionieren.”


Ein Gefühl des Ausgeliefertseins beschreibt auch die slowakische Künstlerin Zorka Lednárová in ihrem Werk „Angel“: Sie bewegte ihren mit Farbe bestrichenen Körper mit Hilfe von mehreren Assistenten über die Leinwand, sodass die Form eines Engels entstand. Das Video der Aktion ist in der Kunsthalle ebenfalls zu sehen. Für Lednárová bedeutete das einen „kompletten Kontrollverlust“, indem sie sich völlig in die Hände anderer Menschen begeben hat – einerseits. Andererseits will sie damit zeigen: „Menschen können trotz Behinderung funktionieren. Sie brauchen aber Hilfe und Empathie.“


Die kann man hier übrigens auch gleich lernen, so noch nicht geschehen: In der „Schule der Empathie“ des Künstlers Peter Schwartz geht es um den Umgang miteinander. Jeder kann Karten ziehen, auf denen Fragen stehen und darüber miteinander ins Gespräch kommen. „Wo liegen deine Unsicherheiten?“, steht auf einer. „Gibst du anderen immer das größere Stück?“ auf einer anderen. Verschiedene farbig markierte Stationen laden als Orte zum Austausch darüber ein. Das Ziel: eine harmonische und unterstützende Gemeinschaft zu schaffen. Dass das gelingen könnte, dafür gibt diese Ausstellung tatsächlich ein bisschen Hoffnung. Karolina Meyer-Schilf

Die Ausstellung ist in der Kunsthalle Bremen noch bis zum 7. September 2025 zu sehen.