Jenny, Crystal und
ein neues Leben

Jenny (Emma Nova) nimmt Kontakt zu ihrem ungeborenen Baby auf. Foto: Neue Bioskop Film

Über die vena umbilicali – die Nabelschnurvene – wird der Fötus mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgt. Sie stellt die direkte Verbindung zwischen Mutter und Kind dar. Und um die gerade zu Beginn des Lebens so wichtige Bindung geht es in dem Film „Vena“, der die Geschichte einer Mutter erzählt, die wortwörtlich von ihrem Baby entbunden wird, weil ihr das Frischgeborene in der Haft weggenommen wird. Der Film kommt Ende November in die Kinos. In Hamburg und Lüneburg finden vorab Sondervorführungen mit der Regisseurin und weiteren Gästen statt.


Es geht in dem Film auch um Crystal und um prekäre Lebensumstände, irgendwo zwischen ostdeutscher Hochhauswohnung und Nagelstudio. Jenny, die Hauptfigur, liebt ihren ebenfalls süchtigen Freund Bolle, mit dem sie ein Kind erwartet. Jenny ist in ihrem Vorleben mit der Justiz und dem Jugendamt aneinander geraten und geht auf größte Distanz zu ihrer Mutter, wo ihr Sohn lebt. Wieso und warum das alles bleibt offen. Als Jenny die Familienhebamme Marla zugewiesen wird, auf die sie zunächst abweisend reagiert, beginnt eine Entwicklung. Jenny beginnt, Marla zu vertrauen. Und übernimmt schließlich Verantwortung für ihr Leben – und das ihres in ihr heranwachsenden Kindes. Sie muss ins Gefängnis, entbindet, am Fuß ans Bett gefesselt, in einer Klinik, bevor Mutter und Frischgeborenes getrennt werden.

Schließlich übernimmt sie Verantwortung für ihr Leben – und das ihres Kindes


„Vena“ ist ein Regiedebüt. Chiara Fleischhacker hat auch das Drehbuch verfasst und dafür über zwei Jahre umfangreich recherchiert. Das schafft Authentizität – zwischenzeitlich denkt man, man sieht eine Dokumentation – und Facettenreichtum. So flossen viele Gespräche mit Frauen wie Jenny in den Inhalt. Ihre Geschichten waren sehr unterschiedlich, so die Autorin, aber „überschnitten sich oft in einer stark traumatisierenden Kindheit, unsicheren Beziehungen und der Suche nach innerem Frieden“. Auch die Schilderungen einer Familienhebamme wurden aufgegriffen, die der Autorin von dem Dilemma von Nähe und Distanz sowie Helfersyndrom und Burnout-Gefahr berichtete.

Was passiert mit Müttern, wenn sie in Haft kommen?


Als Ausgangspunkt für die Filmidee nannte die Autorin, die sich bereits in mehreren Dokumentarfilmen kritisch mit dem deutschen Strafvollzug befasst hat, die Faszination über die selbst erlebte Geburt ihres Kindes. Später die über die Mütter, „die während ihrer Schwangerschaft tief in der Crystal-Meth-Sucht steckten und beim Annehmen ihrer Babys von einem auf den anderen Tag aufhörten zu konsumieren. Leider nach der Geburt aber auch häufig wieder rückfällig wurden“. Schließlich die Frage, was passiert mit den Müttern, wenn sie in Haft kommen?


Wenn Haft und Schwangerschaft zusammentreffen, sei es eine Glücksfrage, ob eines der fünf deutschen Mutter-Kind-Heime einen Platz frei hat, so Fleischhacker. Da Schwangerschaft kein Grund für einen Haftaufschub ist, treffen diese Umstände nicht selten zusammen. Die Gründung des ersten Mutter-Kind-Heims in Frankfurt 1988 „geschah aus der Überzeugung, dass die Trennung zu weitreichenden emotionalen Schäden bei Mutter und Kind führt“. Doch: Die Gegenstimmen, die auch heute noch in der Mehrzahl der Bundesländer den Bau von jenen Einrichtungen blockieren würden, seien der Überzeugung, dass ein Baby nicht in Haft aufwachsen sollte.
„Vena“ wurde beim Hamburger Filmfest mit dem First Steps Award und dem Hamburger Produzentenpreis ausgezeichnet. A.Hinrichs (Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 6/24)
Vena: Filmstart: 28. November

Sondervorführungen:

LÜNEBURG
Mittwoch, 20. November 2024
19.00 Uhr, Kino SCALA
In Anwesenheit von
Chiara Fleischhacker, Autorin und Regisseurin
 

HAMBURG
Donnerstag, 21. November 2024
19:30 Uhr, Abaton Kino
 In Anwesenheit von
Chiara Fleischhacker, Autorin und Regisseurin
Emma Nova, Hauptdarstellerin
Hilly Škorić, Geschäftsführerin von Hilf-Reich e.V. und ehemalige Intensivstraftäterin
Nicole Hellwig, Stiftung SeeYou
Dr. Karen Bilda, Deutscher Juristinnenbund e.V. 
Moderation: Dr.in Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray