Isolation geht
aufs Gehirn

Die deutsche Neumayer-Station III bietet extreme Lebensbedingungen. Foto:

Am Beispiel einer Polarexpedition haben  Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung die Effekte von sozialer Isolation und extremen Umweltbedingungen auf das Gehirn untersucht. Sie fanden Veränderungen im Gyrus dentatus, einem für das räumliche Denken und das Gedächtnis verantwortlichen Teilbereich des Hippokampus. Die Ergebnisse ihrer Studie sind in der Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine* erschienen.

Wer zu einer Antarktis-Expedition auf die deutsche Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), aufbricht, muss mit Temperaturen bis zu minus 50 Grad und nahezu vollständiger Dunkelheit im Winter rechnen. Das Leben auf der Station bietet wenig Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Kontakte zur Außenwelt sind auf ein Minimum reduziert. Den Aufenthalt abzubrechen, ist zumindest während der langen Wintermonate keine Option: Evakuierungen im Notfall oder Nachschub von Nahrungsmitteln und Equipment sind nur während des relativ kurzen Sommers möglich. 

An der Studie nahmen fünf Männer und vier Frauen freiwillig teil, die insgesamt 14 Monate auf der Polarforschungsstation verbrachten. Davon waren sie neun Monate auf sich allein gestellt. Vor, während und nach der Mission absolvierten sie eine Reihe von computergestützten Kognitionstests. Diese prüften unter anderem die Konzentrationsfähigkeit, die Gedächtnisleistung und die Reaktionsfähigkeit sowie das räumliche Denken. Regelmäßige Bluttests sollten darüber hinaus Aufschluss über die Konzentration des sogenannten Wachstumsfaktors BDNF (brain-derived neurotrophic factor) geben – ein Protein, das sich stimulierend auf das Wachstum der Nervenzellen und Synapsen im Gehirn auswirkt. Um Veränderungen im Volumen insbesondere des Hippokampus, einer tief im Gehirn liegenden Region, feststellen zu können, bestimmte die Forschungsgruppe die Hirnstruktur der Probandinnen und Probanden vor sowie nach der Mission in einem Magnetresonanztomografen. Eine neunköpfige Kontrollgruppe durchlief die gleichen Tests.

Die Messungen ergaben, dass sich ein bestimmter Teilbereich des Hippokampus, der Gyrus dentatus, bei den Expeditionsteilnehmern nach Expeditionsende im Vergleich zur Kontrollgruppe verkleinert hatte. Der Gyrus dentatus spielt für die Festigung von Gedächtnisinhalten und das räumliche Denken eine wichtige Rolle. Die Veränderungen gingen dabei mit einer Verringerung des Wachstumsfaktors BDNF einher. Bereits nach dreimonatigem Aufenthalt in der Antarktis war die Konzentration des Wachstumsfaktors unter das vor der Expedition gemessene Niveau gesunken und hatte sich auch eineinhalb Monate nach der Expedition noch nicht normalisiert. In den Kognitionstests zeigten sich Effekte auf das räumliche Denken und die sogenannte selektive Aufmerksamkeit, die nötig ist, um nicht relevante Informationen zu ignorieren.  

 Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun untersuchen, ob beispielsweise Sport den beobachteten Veränderungen des Gehirns entgegenwirken kann.

*Stahn AC et al. Brain changes in response to long-duration Antarctic expeditions. New Engl J Med 381;23. doi: 10.1056/NEJMc1904905