Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) fordert eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung von Zwangsmaßnahmen in Altenpflegeheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Es gebe eine hohe Dunkelzahl bei Fixierungen, der Nutzung von Time-Out-Räumen und Zwangsmedikationen, sagte ISL-Inklusionsbotschafter Thomas Künneke dem Evangelischen Pressedienst (epd). All diese Maßnahmen bedürften zwingend einer richterlichen Einwilligung, erläuterte der Experte.
Künneke reagierte auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen einen Mitarbeiter der Diakonischen Stiftung Wittekindshof wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung. Es besteht der Anfangsverdacht, dass der Leiter des Geschäftsbereichs 4 in der „Heilpädagogischen Intensivbetreuung” Zwangsmaßnahmen angeordnet hat, ohne dass ein richterlicher Beschluss vorlag.
Für sämtliche freiheitsentziehenden Maßnahmen ist laut Künneke unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Ansonsten machten sich die Handelnden wegen Freiheitsberaubung gemäß Paragraf 239 Strafgesetzbuch strafbar. Diese juristische Entscheidung ist laut Künneke in kurzen zeitlichen Abständen medizinisch und richterlich zu überprüfen.
Zwar liegen nach seinen Angaben über die Anzahl der ungenehmigten Fixierungen bundesweit keine Zahlen vor: „Wir befürchten aber, dass es in Heimen der Eingliederungshilfe und in Altenpflegeheimen eine hohe Dunkelziffer an Zwangsmaßnahmen gibt, für die keine richterliche Anordnung vorliegt.” Zwangsmaßnahmen beträfen in Deutschland fast ausschließlich Menschen mit Behinderung, insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Beeinträchtigungen.
Die häufige Argumentation seitens der Einrichtungen, dass etwa Fixierungen unvermeidlich seien, weil nicht ausreichend Personal vorhanden sei, sei befremdlich, sagte der Experte. Er rief die Träger der Heime auf, Unterstützungsmethoden anzubieten, die Zwangsbehandlungen überflüssig machen. Dazu sei es zwingend erforderlich, ausreichend Fachpersonal bereitzustellen. (epd)