Wenn Hilfsangebote Beschämung oder Ängste auslösen, werden sie einer neuen wissenschaftlichen Studie zufolge meistens nicht angenommen. Das gelte insbesondere bei Wohnungslosen, Drogenabhängigen oder überschuldeten Menschen, teilte die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim mit. Die Wissenschaftlerinnen der Fakultät Soziale Arbeit hatten in Hildesheim und Hannover Betroffene befragt, die auf Angebote etwa der Wohnungslosenhilfe, der Opferhilfe und der Tafel angewiesen sind.
Sie hätten auf vielfältigsten Ebenen Hürden zu überwinden, die es so nicht geben sollte, sagte die Hildesheimer Verwaltungsprofessorin Gitta Scheller. Wer etwa bei der Opferhilfe nur den Anrufbeantworter erreiche, lege den Hörer wieder auf und melde sich womöglich nie wieder. Wer als Frau Gewalt durch einen Mann erfahren habe, wolle sich meistens lieber einer Sozialarbeiterin anvertrauen. Interviewpartner hätten auch fehlende Anonymität bemängelt. In einem Büro, in dem mehrere Sozialarbeiter gleichzeitig Klienten berieten, sei eine vertrauliche Atmosphäre nicht gewährleistet.
Scheller zufolge besteht eine weitere Barriere darin, dass die Inanspruchnahme von Hilfen mitunter Gefühle der Beschämung auslöse: „Was zum Beispiel der Fall ist, wenn Betroffene Sozialarbeiterinnen oder Sozialarbeiter um Geld bitten müssen.” Aber auch die Ausstattung von Tagestreffs oder Übernachtungsmöglichkeiten würden in den Fokus gerückt. Mittellose Nutzerinnen und Nutzer hätten vielfach ganz andere Vorstellungen von der Gestaltung eines Raums oder einer Tafel als jene, die die Einrichtung konzipiert hätten.
Die Nutzer schätzten Zweckmäßigkeit, Funktionalität und Sauberkeit, betonte die Wissenschaftlerin. Stattdessen sähen sie sich auch mal mit „verwanzten Matratzen in Schlafunterkünften, versifften Toiletten, grellem Licht, ungemütlichen Großküchen oder langen Tischen für viele und ohne Rückzugsmöglichkeiten” konfrontiert. Die Interviewten hätten die Gestaltung von Einrichtungen als „Fremdsicht der Professionellen auf sich” bewertet: als verwahrloste Menschen, die kein Feingefühl, keinen Geschmack hätten und denen das alles nichts mehr ausmachen würde.
„Die Geschmacksdiskrepanzen scheinen nach unseren Interviews umso größer zu sein, je niedriger die soziale Position der Nutzenden ist”, sagte Scheller. Im Ergebnis zeige die Studie, dass es eine Vielzahl von Hürden gebe. „Niedrigschwellige soziale Arbeit ist nach unseren Befunden eine Illusion.” Die Hilfsangebote müssten stärker als bisher an den Bedürfnissen, den kulturellen Kompetenzen und Praktiken der Nutzenden orientiert sein, wenn sie angenommen werden sollten.