Gegen die Ungleichheit

Tagungsort in diesem Jahr ist Magdeburg, hier eine Nachtansicht mit Dom. Foto: www.andreaslander.de

„Sozialpsychiatrische Versorgung unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlicher Ungleichheiten“ – so ist die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) überschrieben, die vom 15. bis 17. November im Alten Theater in Magdeburg stattfindet. 

Angesichts der nach wie vor gravierenden Unterversorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen Versorgungsangeboten (ca. 50 % aller Betroffenen erhalten keinerlei fachliche Behandlung) sind psychisch Kranke gegenüber körperlich Erkrankten generell immer noch deutlich benachteiligt. Zusätzlich bestehen erhebliche Ungleichheiten hinsichtlich des Zugangs zu den Versorgungsangeboten“, so Prof. Dr. Hans Joachim Salize, Leiter der Arbeitsgruppe Versorgungsforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Er spricht am ersten Tag über: „Versorgungsrealität und Versorgungsgerechtigkeit”.

Nicht zufällig findet die Tagung in Magdeburg und damit in einer Region statt, in deren Umland psychiatrische Versorgungsangebote nicht immer für jeden zugänglich sind, so der Verband in einer Pressemitteilung. „Für die psychische Gesundheit der Menschen kann eine solche Unterversorgung erhebliche Folgen haben“, warnt Richard Suhre, Geschäftsführer der DGSP. „Wenn es beispielsweise in ländlichen Regionen keine erreichbaren psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen für psychisch erkrankte Menschen gibt, sind diese ganz anders auf sich allein gestellt als Menschen in größeren Städten, die teilweise eine Vielzahl von Versorgungsangeboten in der Nähe haben.“

Die Tagung, bei der Ministerin Petra Grimm-Benne (Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt) das Grußwort sprechen wird, soll auch Raum bieten, sich über das individuelle Erleben gesellschaftlicher Ungleichheiten auszutauschen. In einem Interview werden psychiatrieerfahrene Menschen aus Ost und West über Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Erleben und Bewerten psychischer Erkrankungen diskutieren. Dabei spielt im Osten Deutschlands auch die Erfahrung des gesellschaftlichen Umbruchs eine Rolle, weiß Jutta Meinerts, Fachärztin für Psychiatrie in Stendal und Vorsitzende des DGSP-Landesverbands Sachsen-Anhalt: „Die politische Wende hat für viele Menschen aus der ehemaligen DDR biografische Brüche gebracht, die noch wenig Beachtung und Würdigung gefunden haben. Die Umwertung aller Werte, mangelnde Anerkennung der Lebensleistung, Arbeitslosigkeit und Existenzängste haben sich auch auf die Kinder ausgewirkt, die in dieser Zeit geboren wurden und oft ihre Eltern als verunsichert und schwach erleben mussten. Dies findet sich häufig in den Biografien der ‚Wendekinder‘, wenn sie psychische Hilfe in Anspruch nehmen müssen”, so Meinerts.

Salize sieht vor allem chronisch psychisch Kranke, die ältere Bevölkerung sowie sozial schwache Bevölkerungsgruppen wie Sozialleistungsempfänger, Wohnungslose, Migranten, Asylsuchende und Geflüchtete massiv benachteiligt: „Neben den Angebotslücken verstellen legislative und sozialversicherungsrechtliche Regelungen sowie dysfunktionale budgetäre Verteilungsmechanismen diesen Gruppen den Zugang zu einer angemessenen psychiatrischen Versorgung.“ Dies sei für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung: „Die Situation drückt eine eklatante Missachtung der gesellschaftlichen Ressource ‚psychische Gesundheit‘ seitens der Politik und der Gesamtgesellschaft aus, die massive Folgekosten in allen gesellschaftlichen Sektoren verursacht und die mittel- und langfristige Risiken für den sozialen Frieden ausblendet.“

Am Vorabend der Tagung lädt die Stiftung für Soziale Psychiatrie  zu Vortrag, Lesung und Diskussion ein. Um 18 Uhr wird in der Städtischen Volkshochschule Magdeburg, Leibnizstr. 23, zunächst Dr. Dr. Stefan Weinmann über „Das Soziale in der Psychiatrie – zur Selbsttäuschung eines Fachgebietes und ihrer Überwindung“ referieren, danach folgt die Lesung von Monika Staemmler „Das erzähl ich nur Ihnen! – Die Kunst der Beziehungsarbeit“.

In einem Symposium  am Vormittag des 15. November geht es um „Die Wiederkehr des Elektroschocks: Legitime Therapie oder verantwortungslose Schädigung?“  (9 bis 12.30 Uhr).

Lesen Sie hierzu auch einen EPPENDORFER-Beitrag  über das Ringen der Universitätspsychiatrie Hamburg-Eppendorf (UKE) um die Wiedereinführung der EKT von Anfang 2017: http://eppendorfer.de/psychiatrie-unter-strom/