„Frida Kahlo war
keine Surrealistin”

Frida Kahlo - Selbstbildnis mit Dornenhalsband von 1940.

In der Kunsthalle Schirn in Frankfurt läuft bis 24.Mai die Ausstellung mit dem Titel „Fantastische Frauen“. Der Untertitel lautet: „Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“. Mit der Einreihung Kahlos in den Kreis der Surrealisten setzt Schirn nun eine Legende fort, die ein enger Bezug zwischen der Kunst Kahlos und Surrealismus herstellt. Tatsächlich gibt es kaum eine Biografie oder einen Bericht, in dem Kahlo nicht mit dem Surrealismus in Verbindung gebracht wird.

Diese Legende geht wohl auf die Äußerung von dem Wortführer der surrealistischen Bewegung André Breton zurück. Als er im April 1938 anlässlich einer Vortragsreise in Mexiko Frida Kahlo kennenlernte, war er von ihren Werken, derart fasziniert, dass er sie überschwänglich zur Surrealistin kürte. Die Vereinnahmung durch Breton wurde von vielen kritiklos übernommen und über Jahrzehnte bis heute weitergetragen.

 Kahlo selbst sah sich absolut nicht als Surrealistin. Denn es ging ihr stets um die Darstellung ihrer eigenen Wirklichkeit und nicht die Welt aus Unbewusstem und Traum: «Man hielt mich für eine Surrealistin. Das ist nicht richtig. Ich habe niemals Träume gemalt. Was ich dargestellt habe, war meine Wirklichkeit.» Sie wehrte sich vehement gegen Vereinnahmungsversuche durch Pariser Surrealisten, die sie 1939 anlässlich der Ausstellung „Mexique“ in Paris kennen gelernt hatte. Wie aus ihren einigen Bemerkungen hervorgeht, hegte sie eine tiefe Abneigung gegen Surrealisten und hielt sie sie auf Distanz. Vor allem die Lebensweise dieser „schäbigen Pariser Künstler war ihr geradezu verhasst. „Sie sitzen stundenlang in ihren Cafés‘, wärmen ihre feinen Ärsche und quatschen ununterbrochen über Kultur‘, Kunst‚ Revolution und so weiter, und so fort. Sie halten sich für Gott, phantasieren den aberwitzigsten Unsinn zusammen und verpesten die Luft mit immer neuen Theorien, die nie Wirklichkeit werden.“ schrieb sie 1939 aus Paris ihrem Freund Nickolas Murray. Sie nannte Breton  „erbärmliche Kakerlake“.

Tatsächlich war ihre Kunst auf die Wirklichkeit gerichtet, wenn auch ihre eigene, gelebte Wirklichkeit, geprägt durch körperliches Leiden und seelische Qualen, schonungslos und unmittelbar. Über ihre Malerei urteilte sie selbst: „Da meine Themen stets um meine Empfindungen, meinen Seelenzustand und die tiefsten Reaktionen kreisen, die das Leben in mir hervorrief, habe ich all dies oft in Selbstbildnissen umgesetzt. Sie waren der ehrlichste und wahrhaftigste Ausdruck dessen, was ich in mir und vor mir selbst empfand.“

Auch wenn manche ihrer realistischen Bilder durch Stilisierung und Überzeichnung dem Realen eine surrealistische Wirkung verliehen, hat Ihre Kunst keinen unmittelbaren Bezug auf den europäischen Surrealismus, der als Revolte gegen die etablierte Ordnung in Frankreich und die vorherrschenden künstlerischen Normen entstand. Ihr war der ideologische Anspruch der Surrealisten fremd. So bemerkt die Kahlo-Kennerin Andrea Kettenmann: “Wenn auch viele ihrer Arbeiten phantastisch-surrealistische Elemente enthalten, so sind sie dennoch nicht als surrealistisch zu bezeichnen, denn keine von ihnen löste sie sich völlig von der Wirklichkeit.“

Die eventuellen Parallelen zwischen Surrealismus und ihrer Kunst sind rein zufällig. Ihre ikonografischen Einfälle haben wenig mit Surrealismus gemein. Weder das Über-und Unwirkliche, das Unbewusste oder das Zufällige das Absurde, noch das Irrationale, das Rauschhafte, das Traumhafte, Visionäre des Surrealismus waren die Quellen ihrer Kreativität. Sie schuf ihre Bilder intellektuell gesteuert, sorgsam durchdacht und kontrolliert. Spontaneität und Improvisation waren ihr fremd. Nichts war dem Zufall überlassen. Selbst ihre grotesk-fantastischen, schonungslosen Darstellungen haben eine strenge Logik. Auch die von Surrealisten bevorzugten Praktiken wie die Herbeiführung paranoisch -halluzinatorischer Zustände unter Einwirkung der Drogen, visionäre Erlebnisse, Technik des psychischen Automatismus, waren ihr nicht geläufig. Collage, Frottage und Grattage waren ihre Sache nicht.

Vor diesem Hintergrund wird man ihr sicher nicht gerecht, wenn man versucht ihre Werke dem Surrealismus einzuordnen.

Genau genommen orientierte Kahlo sich an keine bestimmte Stilrichtung, nahm vielmehr Elemente aus unterschiedlichen Quellen in seine Kunst auf, ging ihren eigenen Wege und entwickelte daraus einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil. Unbestritten ist, dass sie sich von den mythisch- sagenhaften Motiven aus dem Fundus des mexikanisch-indigenen Brauchtums (Exvoto- und Votivbilder) inspirieren ließ. Als Marxistin und Patriotin ließ sie auch politische Motive in ihr künstlerisches Schaffen einfließen. Anregungen erhielt Kahlo sehr wahrscheinlich auch aus Kunstbüchern- und Katalogen, die sie besaß. Ihr persönlicher Duktus war dennoch keineswegs epigonenhafte Nachahmung sondern auf eigene Weise variiert, ihrem Stilwillen untergeordnet und in die eigene Arbeit verknüpft und integriert, ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. 

Obwohl sie die Akteure der Kunstbewegungen ihrer Zeit wie Kandinsky, Picasso, Max Ernst, Joan Miró, und Yves Tanguy in Paris kennenlernte, beugte sie sich nicht dem Diktat des abstrakten Expressionismus, Kubismus und Surrealismus. Sie ließ sie an sich abgleiten und ging am Mainstream vorbei, unbeirrt ihren eigenen Weg. Sie blieb sich stets treu mit ihrer unverwechselbaren Handschrift.

Überblickt man ihr gesamtes Werk, so muss man feststellen, dass man mit stilistischen Begriffen nicht weiterkommen kann. Ihre eigenwillige, stark individualisierte Kunst hat zu sehr ihren eigenen Charakter, als dass sie einer bestimmten Stilrichtung zugeordnet werden kann. So gesehen war sie eine Einzelgängerin, eine singuläre Erscheinung in der Kunstlandschaft ihrer Zeit.

                                                                                                Turhan Demirel