Erstmal ein Zuhause

Erstmal für einen sicheren Wohnort sorgen, dann für weiter Hilfen, das ist der Ansatz von „housing first". Symbolfoto: pixabay

Um die Obdachlosigkeit weiter zu bekämpfen, startet Hamburg das Modellprojekt „Housing First“ (dt.: Wohnen zuerst). Zunächst für drei Jahre sollen 30 Wohnungen an obdachlose Menschen vermittelt werden, wie die Sozialbehörde am Montag ankündigte. Damit soll eine sichere Unterbringung gewährleistet werden, damit dann weitere Hilfen greifen können. Insgesamt stehen dafür 880.000 Euro bereit. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und später ausgewertet. Rund ein Drittel der Plätze soll an Frauen vergeben werden.

Die Vermittlung der Wohnungen und die begleitenden Angebote für die obdachlosen Menschen erfolgen durch gemeinnützige Träger. Ausgesucht wurde dafür von der Sozialbehörde ein Verbund aus dem Diakonischen Werk Hamburg, der Benno und Inge Behrens-Stiftung und dem evangelischen Kirchenkreis Hamburg-Ost. SPD und Grüne hatten sich im Koalitionsvertrag bereits grundsätzlich auf ein Housing-First-Projekt geeinigt.

Menschen sollen sich erstmal erholen und dann weitere Hilfen erhalten

Mit dem Projekt sollen gezielt Menschen erreicht werden, die seit langer Zeit ohne Wohnung sind und denen aufgrund ihrer unterschiedlichen Probleme bislang kein Wohnraum vermittelt werden konnte. Dazu zählen unter anderem psychische Erkrankungen, eine angegriffene Gesundheit, hoher Alkoholkonsum oder Drogensucht. In ihrer neuen Wohnung sollen sie sich zunächst erholen und dann in die Lage versetzt werden, Unterstützungsleistungen anzunehmen. Begleitende Angebote sollen helfen, dass sie ihren Alltag mittelfristig selbst strukturieren und möglicherweise auch Arbeit aufnehmen.

Das Projekt startet im Juli. Innerhalb von zwei Jahren sollen die Wohnungen vermittelt werden. Das dritte Jahr dient vorrangig der Verstetigung. Die wissenschaftliche Untersuchung soll bis Ende 2025 vorliegen.

Das Konzept von “Housing First”

Die Idee von „Housing First“ im Kampf gegen Wohnungslosigkeit stammt aus den USA. Dort wurde der Ansatz „Pathways to Housing“ Anfang der 90er Jahre unter der Leitung von Sam Tsemberis entwickelt. Heute wird Housing First in mehreren US-Städten erfolgreich praktiziert.

Das Konzept richtete sich ursprünglich an obdachlose Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen. Die Zielgruppe wurde aber später erweitert auf Menschen, die langjährig obdachlos waren, und auf Personen, die nach der Entlassung aus Krankenhäusern und Haftanstalten von Obdachlosigkeit bedroht waren.

Kernziel ist die Vermittlung von dauerhaftem Wohnraum. Dahinter steckt die Idee, dass es einfacher ist, bei den Klienten bestehenden Probleme wie Sucht, Depressionen oder Arbeitslosigkeit anzugehen, wenn sie bereits eine stabile Wohnsituation haben. Meist kaufen die Sozialträger die Wohnungen, weil der Mietmarkt oft keine passenden Objekte bietet.

Housing First überwindet alle sonst üblichen „Stufenpläne“, in denen Wohnungslose aus der Notunterkunft über Aufnahmehäuser, Übergangswohnungen, Wohnheime, Trainingswohnungen und betreute Wohngemeinschaften Stufe für Stufe herangeführt werden an das „normale“ Wohnen – ein völlig anderer Ansatz, als ihn die klassische Wohnungslosenhilfe verfolgt.

Organisatorisch begleitet von Sozialträgern oder Vereinen, besteht von Anfang an ein normales, unbefristetes Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Wohnbegleitende Hilfen werden ergänzend, aber nicht verpflichtend angeboten – sie sind grundsätzlich von Akzeptanz, dem Recht auf Selbstbestimmung, Respekt und Verlässlichkeit geprägt.

Dort wo Housing-First bereits praktiziert wird, sind die Ergebnisse überzeugend. So etwa in Finnland, wo die Obdachlosigkeit in den zurückliegenden zehn Jahren massiv gesunken ist. Dirk Baas (epd)