15 Minuten dauert es, bis ein Strich auf dem Test Entwarnung gibt. Vorher dürfen Besucher nicht zu ihren Angehörigen. Ein Braunschweiger Pflegeheim hat mit den Corona-Schnelltests begonnen und steht nun vor neuen Herausforderungen.
Heimleiterin Stefanie Rutsch führt das Wattestäbchen vorsichtig in den weit geöffneten Mund der Mitarbeiterin. “Das ist wie beim Zahnarzt”, sagt Rutsch, die blaue Schutzkleidung, Handschuhe, eine Schutzbrille und einen Mund-Nasenschutz trägt. Das Senioren- und Pflegezentrum Bethanien in Braunschweig ist eine der ersten diakonischen Altenpflege-Einrichtungen in Niedersachsen, die mit Antigen-Schnelltests Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter auf das Coronavirus testet.
Während Rutsch das Wattestäbchen für zwei Minuten in eine Lösung stellt, bereitet eine Mitarbeiterin die nächsten Tests vor. Rutsch träufelt etwas Lösung auf ein Testgerät. Nach 15 Minuten kommt die Entwarnung. Ein Strich bedeutet: Das Virus wurde nicht nachgewiesen. Vor der Tür des eigens eingerichteten Testzentrums hat sich bereits eine Schlange von Mitarbeitern gebildet. Manche werden ungeduldig, sie müssen in die Küche und das Mittagessen vorbereiten.
“Die Schnelltests bieten zwar keine hundertprozentige Garantie, aber sie sind ein Mehrwert”, sagt die Heimleiterin. Der Ernst der Lage wurde gleich zu Beginn deutlich: Eine Angehörige, die zuvor ihre Mutter im Heim besucht hatte, war positiv auf das Virus getestet worden. So wurden gleich am ersten Tag bis in die Nacht alle 50 Kontaktpersonen getestet. Bislang hat es in der Einrichtung keinen einzigen Corona-Fall gegeben.
Geschäftsführer Ulrich Zerreßen weiß, das Ganze findet unter einem erheblichen Druck für alle statt. “Das größte Problem ist die Personalkapazität.” Dreieinhalb Vollzeitstellen braucht die Einrichtung mit derzeit 238 Bewohnern, um die Tests täglich durchzuführen. Allein 42 Besucher können täglich getestet werden, die 180 Mitarbeiter derzeit zwei Mal in der Woche. Steigt der Inzidenzwert in Braunschweig auf über 100 an, müssten die Beschäftigten drei Mal in der Woche zum Test. “Das werden wir nicht schaffen”, befürchtet Zerreßen.
Nur gut geschultes Fachpersonal darf die Tests durchführen. Viele Heimträger befürchten deshalb Engpässe. Pflegeeinrichtungen bräuchten personelle Unterstützung, heißt es von der Diakonie in Deutschland. Auch müssten sie ausreichend finanziell ausgestattet werden. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste beklagt zudem in mehreren Bundesländern gravierende bürokratische Hindernisse, vor denen die Einrichtungen stehen.
In Braunschweig übernehmen Zeitarbeitskräfte den Ausfall in der Pflege. Derzeit werden dem Pflegeheim die sieben Euro Materialkosten für jeden Test erstattet. Für jeden Bewohner werden im Monat 20 Tests gestattet. Wann und ob die zusätzlichen Personalkosten, von etwa sechs Euro je Test, übernommen werden, ist noch unklar. Allerdings sei der Krankenstand deutlich zurückgegangen, betont Zerreßen. Vorher fielen die Mitarbeiter in der beginnenden Erkältungs- und Grippe-Zeit schon wegen eines kleinen Schnupfens aus, da sie oft eine Woche in Quarantäne auf ein Testergebnis warten mussten.
Heike Fiddeke-Kasten ist froh, dass sie an diesem Morgen ihre 86-jährige Mutter besuchen kann. Zuvor hat sie über die Telefon-Hotline einen Termin ausgemacht. Im Zehn-Minuten-Takt dürfen die Besucher die Schleuse im Eingangsbereich passieren. Dort wird auch Fiddeke-Kasten eine neue Maske ausgehändigt, sie muss Formulare ausfüllen, ihre Hände desinfizieren und schließlich einen Kittel überziehen. Aus früheren Betreuerinnen sind Türsteherinnen geworden, die strengstens die Einhaltung der Regeln überwachen. Den gesamten Ablauf haben alle vorher geübt, Zeiten gestoppt und geschaut, wo welche Materialien fehlen.
Im Saal im Erdgeschoss, wo ein Flügel an größere Veranstaltungen mit Gesang erinnert, ist das Testzentrum für Besucher eingerichtet worden. Davor wartet auch Fiddeke-Kasten darauf, zu ihrer Mutter gelassen zu werden. Die Kosten für die Tests findet sie schon enorm und überlegt, ob sie nur alle 14 Tage zu Besuch kommt. “Aber es wäre der Super-Gau, wenn das Heim zugemacht würde.”
Geschäftsführer Zerreßen sieht trotz der zusätzlichen Belastungen vor allem Vorteile. Ein Corona-Fall im Haus würde “schnell Hunderttausende” kosten, schätzt er. Neben einem Belegungsstopp und “wahnsinnigen Krankenquoten im Personal” werde es auch Monate dauern, bis die Menschen wieder Vertrauen in die Einrichtung hätten. “Das steht in keiner Relation zu dem, was wir jetzt machen.” Und schließlich wird Zerreßen, die rheinländische Frohnatur, ernst. Im schlimmsten Fall könnten Bewohner an dem Virus sterben. “Nein, bitte nicht.”
Charlotte Morgenthal (epd)