Der Fall Lügde und das große Entsetzen

Situationen mit Puppen nachstellen ist Teil eines Programms, in denen kleine Kinder in monatelangen Ersttherapien aufgefangen werden. Foto: screenshot/ YouTube / HanseMerkur Preis für Kinderschutz: Stiftung „Ein Platz für Kinder"

„Lügde hat uns vor Augen geführt, was täglich in Deutschland passiert – Gewalt und Missbrauch an Kindern. Es ist schwer zu ertragen sich die Schicksale dieser Kinder auszumalen. Gleichzeitig tauchen Fragen auf: warum konnten die Täter so lange unentdeckt Kinder quälen? Warum haben die Opfer geschwiegen?” Das fragt die Stiftung „Ein Platz für Kinder”, die mehrere Kinderschutzhäuser, darunter die Mattisburg in Hamburg betreibt. 

Durchschnittlich sieben Mal müsse ein betroffenes Kind auf solche Taten aufmerksam machen, damit man ihm glaubt. Psychologen wissen, dass Kinder dies nicht leisten können. Und so stehe  Lügde für viele Schicksale: 4.180 Kinder wurden laut Bundeskriminalamt im Jahr 2018 misshandelt, die Hälfte der Opfer waren jünger als sechs Jahre; 14.606 Jungen und Mädchen mussten sexuellen Missbrauch erdulden und 136 Kinder starben an den Folgen der Gewalttaten, in 98 Fällen bliebe es beim Tötungsversuch.

Wie kann unsere Gesellschaft diese Kinder übersehen? Johanna Ruoff, Gründerin der Stiftung „Ein Platz für Kinder” begründet dies wie folgt: „Trauen Sie ihrem netten Nachbarn, dem engagierten Pfarrer, dem liebevollen Onkel, der Kindergärtnerin oder gar Ihrem eigenen Partner diese grauenvollen Taten zu? Kinder haben zum einen oft eine lebhafte Phantasie und erfinden viele Geschichten. Zudem wissen wir aus der täglichen Praxis in unseren Kinderschutzhäusern, den Mattisburgen, dass die Täter perfide Strategien bei der Vertuschung ihrer Taten haben: da wird mit dem Verlust oder gar Tod der Eltern gedroht, oder dem Kind verdeutlicht, dass man es bestrafen musste, weil es nicht artig war.”

Zudem stünden die kleinen Opfer am Anfang ihres Lebens, „woher sollen sie wissen, dass Prügel nicht normal sind? Dass das Streicheln eines Erwachsenen nicht zum täglichen Alltag eines Kindes gehört.” Doch es gibt Zeichen, die Eltern, Erzieher, Nachbarn und Lehrer erkennen müssen. So seien  typische Verhalten eine massive Wesensveränderung hin zu Gewaltausbrüchen oder totaler Anpassung. „Aus einem fröhlichen Kind wird ein introvertierter Eigenbrötler. Eltern haben dann oft das Gefühl, ihr Kind nicht mehr zu verstehen. Am Ende liegt die Seele in Trümmern.”

In den Mattisburgen werden diese Kinder aufgefangen. Hier hält man die Stimmungsschwankungen der Jungen und Mädchen aus. Gibt ihnen Geborgenheit und das verlorene Vertrauen in Erwachsene zurück. „Irgendwann berichten unsere Mattisburg-Kinder über das Geschehene. In Worten, in Gesten, in Handlungen. Und dann können wir sie auf die lange Reise der Genesung schicken”, berichtet Johanna Ruoff über die Arbeit in den Kinderschutzhäusern.

Mehr unter www.epfk.org oder unter www.youtube.com/watch?v=cZz0BzuZiG0.