Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) veranstaltet in Kooperation mit dem Schwulen Museum Berlin am 1. Juni ein digitales Symposium zu Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke. Im Mittelpunkt steht die Präsentation einer Vorstudie zu Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin: Im Umfeld vor allem linker sozialer Bewegungen seit den 1970er-Jahren dockten pädosexuelle Akteure an die soziale Bewegung der Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität an und warben öffentlich für die Straffreiheit sexueller Handlungen von Erwachsenen mit Kindern und Jugendlichen. Ihre Netzwerke waren in der Lage, die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen vor aller Augen zu organisieren und gleichzeitig das Gewaltförmige zu verschleiern.
Die Berliner Vorstudie der Kunsthistorikerin Iris Hax und des Kulturwissenschaftlers Sven Reiß zeigt, dass auch in Deutschland pädosexuelle Aktivisten Straffreiheit für sexuelle Handlungen forderten und dabei Bündnispartner nicht nur in den neuen sozialen Bewegungen oder bei linksliberalen politischen Parteien, sondern auch in der Wissenschaft suchten. Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie der Erziehungswissenschaft, Sexualpädagogik und Sexualwissenschaft hätten in der Vergangenheit pädosexuelle Positionen und die Vernetzung der Gruppierungen über Berlin hinaus unterstützt, so Hax und Reiß.
Pädosexuelle nutzten, so wird deutlich, die Kriminalisierung und nachhaltige Stigmatisierung von Homosexualität in der Mehrheitsgesellschaft, um sich als Opfer gesellschaftlicher Zwänge und zu Unrecht verfolgte Minderheit zu stilisieren. Zugleich entstanden Narrative einer „Befreiung“ des Kindes von kleinbürgerlichen Familien- und Unterdrückungsverhältnissen. Besonderes Augenmerk lag hier auf der Befreiung der sexuellen Bedürfnisse des Kindes, wobei klar war, dass es nur um die Interessen von Erwachsenen ging. Täter konnten sich zu Sprechern einer neuen, befreiten Pädagogik erklären und sich im Lichte renommierter WissenschaftlerInnen nahezu unangreifbar machen. Als Referenz diente auch der Verweis, Teil einer progressiven Bewegung zu sein.
Kinderrechtegruppen sprachen von „Befreiung” des Kindes
Einen Schwerpunkt der Vorstudie bilden die Berliner Kinderrechtegruppen und -projekte sowie die linksautonome Szene. Die sogenannten Kinderrechtegruppen suchten gezielt Kontakt zu Kindern und Jugendlichen, die aus Heimen oder von zu Hause weggelaufen waren und auf der Straße lebten. Deren Unterstützung wurde daraufhin als „Befreiung“ des Kindes von kleinbürgerlichen Familien- und Unterdrückungsverhältnissen bezeichnet, in Wahrheit ging es aber bei der Unterbringung der Mädchen und Jungen in Wohnungen primär um die sexuellen Interessen von Erwachsenen. Quellen belegen laut der Studie, dass in Teilen der linksautonomen Hausbesetzerszene in Berlin bis in die 1990er-Jahre hinein Menschen akzeptiert und geduldet wurden, die sich als pädosexuell verstanden.
Die Vorstudie gibt klare Hinweise auf eine kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. Ein Betroffener berichtete, dass er Anfang der 1990er-Jahre als 10- bis 14-Jähriger aus dem Ostteil der Stadt in regelmäßigen Abständen von Pädosexuellen in ein Haus gefahren wurde, großzügig eingerichtet mit verschiedenen Freizeitangeboten. Dort war ein fester Kreis pädosexueller Männer aktiv, die die Jungen nach der Schule in das Haus brachten und dort massiv missbrauchten. Nach außen erschien das Haus als ein offener Treff für Schulkinder, die Männer gaben sich den Kindern gegenüber als Sozialpädagogen aus. M. Freitag
(Den vollständigen Text über die Vorstudie lesen Sie in der aktuellen EPPENDORFER-Printausgabe. Ein kostenloses Probeexemplar können Sie anfordern unter info@eppendorfer.de)
Laut der Kommission stellen sich viele Fragen: Welche Strukturen, Organisationsformen und Vernetzungen lassen sich identifizieren? Welche Verantwortung tragen Organisationen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, wissenschaftliche Institutionen und Fachgesellschaften oder einzelne Personen? Warum blieb das Leid der betroffenen Kinder- und Jugendlichen so lange unberücksichtigt und wie geht es den heute erwachsenen Betroffenen? Ein gemeinsamer Austausch dazu mit ZeitzeugInnen, WissenschaftlerInnen und weiteren ExpertInnen findet im Rahmen des Symposiums am 1. Juni 2021 statt. Es kann live im Internet verfolgt werden: Zum Programm und zum Livestream.