Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat. Seither stehen die gesellschaftlichen Zeichen auf Inklusion. Das bedeutet: Kinder mit und ohne Behinderung lernen zusammen in einer Schule, und jeder Mensch kann überall dabei sein, am Arbeitsplatz, beim Wohnen oder in der Freizeit. Soweit die Vision. Der TV-Bericht „Das Märchen von der Inklusion“, der am 21. Januar in der Reihe „die Story im Ersten“ gezeigt wird, stellt eine allgemeine Überforderung und Fortschritte in zu kleinen Schritten fest – mit regionalen Unterschieden.
Einige Bundesländer haben die Inklusion in der Schule radikal umgesetzt. In Bremen beispielsweise, besuchen inzwischen über 80 Prozent aller Kinder mit Behinderung eine Schule zusammen mit Kindern ohne Behinderung. Doch ob das so märchenhaft ist, wie es klingt, darüber gibt es große Uneinigkeit.
Das Radio-Bremen-Team trifft die zehnjährige Nike. Auf der Regelschule wurde das Mädchen mit Down-Syndrom von Mitschülern ausgegrenzt. „Nike kann jetzt prima Basketball spielen, denn das geht auch allein“, sagt ihre Mutter. Sie schickte ihre Tochter lieber wieder auf eine private Förderschule.
Amelie ist 14 Jahre alt, lebt mit Down-Syndrom und besucht eine Gesamtschule. Sie fühlt sich wohl dort, will später Fotografin oder Tierwirtin werden. Das sollte möglich sein, denken auch Eltern, Mitschüler und Lehrer.
Doch selbst wenn die Inklusion an deutschen Schulen teilweise vorankommt, hat sich auf dem Arbeitsmarkt kaum etwas getan. Spätestens nach der zehnten Klasse endet, egal in welchem Bundesland, das inklusive Miteinander. Lukas möchte Lokführer werden. Der geistig behinderte 18-jährige war auf einer inklusiven Schule und doch bedeutet das Schulende für ihn: Endhaltestelle „Werkstatt für Menschen mit Behinderung“. Ganze 67 Euro im Monat verdient er dort. Selbstbestimmt leben kann er davon nicht.
Nur knapp ein Prozent beträgt die Vermittlungsquote von Menschen aus einer Werkstatt auf den Arbeitsmarkt. Zwar sind Unternehmen in Deutschland verpflichtet, eine Fünf-Prozent-Schwerbehindertenquote einzuhalten. Doch sie können sich freikaufen. Und über 60 Prozent der Unternehmen tun das auch. Eine höhere Strafabgabe lehnen Politik und Wirtschaft rigoros ab. Das gute Beispiel soll die Arbeitgeber überzeugen, künftig mehr Menschen mit Behinderung einzustellen. Doch in den letzten zehn Jahren hat das an den niedrigen Zahlen kaum etwas geändert.
Der Radio-Bremen-Film für „Die Story im Ersten“ wirft einen Blick auf die Inklusion in der Schule, im Arbeitsleben und im Alltag. Menschen mit Behinderung, Eltern, Lehrer, Arbeitgeber und Politiker zeichnen das Bild einer zerrissenen Republik. Ist die inklusive Gesellschaft ein unerreichbares Ideal? Oder braucht sie einfach noch mehr Zeit? Zehn Jahre Inklusion: eine ernüchternde Bestandsaufnahme. Ein Märchen – bislang ohne Happy End. (Quelle: Radio Bremen)
Montag, 21. Januar 2019, ARD, 22:45 Uhr: Die Story im Ersten: Das Märchen von der Inklusion, Dauer: 45 Minuten