Corona-Virus: Angstforscher
warnt vor Panikmache

Der Göttinger Angstforscher und Psychiater Borwin Bandelow (68) rät zu einem „gesunden Fatalismus” im Umgang mit der Ausbreitung des Corona-Virus in Deutschland. „Wir hatten ähnliche Fälle mit der Vogelgrippe oder dem viel gefährlicheren Sars-Virus”, sagte Bandelow dem Evangelischen Pressedienst (epd). Immer wenn eine neue Gefahr auftauche, erwüchsen für einen gewissen Zeitraum Ängste. Menschen gewöhnten sich aber an neue Situationen. Ein Problem sehe er momentan eher in überzogenen Gegenmaßnahmen. 

Die Angst vor der Ausbreitung und Ansteckung sei nicht ganz unberechtigt oder irrational, sagte der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen. Menschen seien bereits daran gestorben, und Corona scheine gefährlicher als ein Grippevirus zu sein. Auf der anderen Seite seien bei der großen Grippewelle 2017 und 2018 rund 25.000 Menschen gestorben. „Und das stecken wir weg, weil wir gelernt haben, dass das zum Leben dazu gehört.” Menschen nutzten weiterhin Autobahnen, auch wenn sie um die möglichen Gefahren des Straßenverkehrs wüssten, sagte Bandelow.

Bei Vorfällen wie einem Terroranschlag oder der Atomreaktor-Katastrophe von Fukushima gebe es die Regel, dass nach etwa vier Wochen die mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit trotz weiterhin bestehender Gefahren nachlasse. Während einige Medien mit ihrer Berichterstattung Panik schürten, versuchten andere zu beruhigen. „Die Menschen sind dann schlicht hin- und hergerissen zwischen unterschiedlichen Informationen.”

Die Infektionswelle habe sich jedoch jetzt erst von Asien nach Europa und Deutschland ausgebreitet, so dass das Corona-Virus in der Wahrnehmung noch länger als Gefahr präsent sein werde, sagte der Wissenschaftler. „Man ist besorgter, je näher die Situation emotional und räumlich an einem dran ist.”

Behörden, das Gesundheitsministerium und die Medien sollten vorsichtig und sachlich mit Maßnahmen gegen die Ausbreitung umgehen, ohne gleichzeitig die Situation herunterzuspielen, mahnte Bandelow. “Mitunter wollen Verantwortliche nicht tatenlos abwarten, so dass Überreaktionen programmiert sind.” Der Göttinger Wissenschaftler zählt zu den führenden Angstforschern in Deutschland.  (epd)

Dazu passt: Der Leserbrief des Tages in der taz: „Das Coronavirus ist ein Wis­sen­schafts­pro­blem”, schriebt dort Gerd Büntzly aus Herford: „Wir wissen zu viel darüber. In der Geschichte hat es viele Virussorten gegeben, die nacheinander die Menschheit heimsuchten, aber da man nichts über sie wusste, wurden sie als Schicksal hingenommen.” Für gesunde Betrof­fene gehe eine Infektion entweder ohne Symp­tome oder nur mit Schnupfen und Husten einher. „Wir erleben ein Missverhältnis zwischen der erwarteten gesundheitlichen Gefährdung und den drastischen Maßnahmen gegen die Ansteckung. Welch ein Schaden würde entstehen, wenn sich das Virus unbegrenzt verbreitete? Sterben würden alte und geschwächte Personen, denen es eigentlich egal sein könnte, welches Virus sie aufschnappen. Aber weil wir genau wissen, an welchem Virus sie sterben werden, gilt es als unethisch, dessen Verbreitung zuzulassen.” Der ganze Brief findet sich hier.