Mit Depressionen fing es an, inzwischen testen Privatdozent Dr. Marc Axel Wollmer, Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll, sowie Professor Dr. Tillmann Krüger von der Universitätspsychiatrie Hannover (MHH) die Wirkungen von Botox auf Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Erste Ergebnisse seien so ermutigend gewesen, dass die beiden Psychiater eine größere klinische Studie starteten, für die aktuell noch Teilnehmerinnen im Raum Hamburg gesucht werden.
„Wir konnten bereits bei Depressionen zeigen, dass Botulinumtoxin eine lang anhaltende Linderung bewirken kann und sahen bei sechs Patientinnen mit einer Borderline-Störung einen ähnlichen Effekt“, so PD Marc Axel Wollmer, eigentlich Experte für Gerontopsychiatrie und Chefarzt der entsprechenden Abteilung in Ochsenzoll. „Botox könnte das bisher einzige zugelassene Medikament gegen Persönlichkeitsstörungen werden. Es hat zudem den Vorteil, dass seine Wirkung monatelang anhält“, sagte Professor Dr. Tillmann Krüger 2016, als er und Wollmer Ergebnisse erster Behandlungen im Fachmagazin „American Journal of Psychiatry“ veröffentlichten. Damals hatten sie sechs Borderline-Patientinnen, deren Krankheitssymptome sich zuvor durch Psychotherapie, Antidepressiva und Antipsychotika nicht gebessert hatten, einmalig Botox in die mittlere untere Stirn gespritzt. Daraufhin hätten Impulsivität, Stimmungsschwankungen und Niedergestimmtheit abgenommen, das Sozialverhalten habe sich verbessert.
Erste Erfolge bei Depressionen
Auch der der Chefarzt für Persönlichkeits- und Traumafolgestörungen in Ochsenzoll, Dr. Birger Dulz, begrüßt den neuen Ansatz und die Studie. Ohne zu wissen, wie es genau wirkt, hofft er auf eine wirksame Therapie, die begleitend zu einer Psychotherapie angewendet werden kann. Für die meisten Patientinnen seiner Station kommt die Studienteilnahme indes nicht in Frage. Denn: Gesucht werden Patientinnen im Alter von 18 bis 40 Jahren, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, aber aktuell nicht anderweitig in Borderline-spezifischer Psychotherapie sind. Sie erhalten im Rahmen der Studie entweder Botox oder Akupunktur im Kopfbereich (Vergleichsgruppe).
Wie es wirkt: die Facial-Feedback-Hypothese
Wie sich die Spritzen auf psychische Symptome auswirken sollen, erklären sich die Psychiater mit der Wechselwirkung zwischen Gesichtsausdruck und emotionalem Erleben. Dadurch, dass verhindert wird, dass negative Emotionen ausgedrückt werden können, werde auchdie Intensität, mit der diese Emotionen empfunden werden, reduziert. „Der Gesichtsausdruck und das psychische Befinden sind also wechselseitig miteinander verbunden: Mimik drückt Gefühle aus, wirkt aber gemäß der sogenannten Facial-Feedback-Hypothese auch auf unsere Stimmung zurück“, erläutert PD Dr. Wollmer.
Gerade Menschen mit der Borderline-Erkrankung haben extreme Stimmungsschwankungen und leiden an ausgeprägten negativen Emotionen. In Deutschland sind nach neuesten Zahlen etwa fünf Prozent der Bevölkerung oder zwischen 2,4 und vier Millionen Menschen von dieser Erkrankung betroffen. „Um die 70 Prozent der Patienten können heute erfolgreich behandelt werden – wenn sie sich auf eine umfassende Psychotherapie einlassen“, so Wollmer.
Kritisch wurde zum Einsatz von Botox in der Psychiatrie angemerkt, dass bereits die Depressionsstudie mit insgesamt 30 Teilnehmern (die Hälfte davon als Kontrollgruppe) eher klein gewesen und damit noch kein ausreichender Beleg für die Wirksamkeit der Behandlung vorliege. „Zudem monierten Kritiker, dass die Placebowirkung nicht ausreichend überprüft worden sein könne, da die Teilnehmer schnell mitbekämen, ob man ihnen ein wirkstofffreies Placebo oder Botox gespritzt hatte. In der Untersuchung mit Borderlinepatienten fehlte eine Kontrollgruppe sogar ganz“, hieß es auf NetDoktor (s. https://www.netdoktor.de/news/mit-botox-gegen-borderline/)
Die Forscher indes denken bereits noch weiter: Sie sind überzeugt, dass sich die Erfolge auch auf andere Persönlichkeits- und Impulskontrollstörungen übertragen lassen. (hin)
Anmeldungen zur Studie bei: Privatdozent Dr. M. Axel Wollmer, Tel.: (040) 18 18 87 -2337 / -2372, E-Mail: m.wollmer@asklepios.com
Was ist Botox?
Botulinumtoxin stellt ein bakterielles Gift dar, produziert von dem Bakterienstamm Clostridium botulinum, welches in der Lage ist, die neuromuskuläre Übertragung, d.h. die Übertragung vom Nerv auf den Muskel, zu blockieren. Seit einigen Jahren macht man sich diesen Effekt therapeutisch zunutze, indem in Muskel, die eine unerwünschte „Überaktivität“ entfalten, das Toxin injiziert wird. So erreicht man eine Lähmung. Die Wirkung setzt nach ca. 1 bis 2 Wochen ein und hält ca. 3-4 Monate an. An unerwünschten – aber nur vorübergehenden – Wirkungen können zu starke Lähmungen der behandelten Muskeln bzw. Muskelgruppen auftreten, je nach Ort der Injektion auch Schluckstörungen, herabhängende Augenlider und Doppeltsehen. Im allgemeinen werde die Therapie jedoch gut vertragen, so die Mediziner. „Botulinumtoxin hat, in niedriger Dosierung örtlich gespritzt, kaum Nebenwirkungen“, so Professor Hillmann Krüger. Das Indikationsspektrum umfasst z.B. Bewegungsstörungen, Spastik, Tremorerkrankungen, Tics, aber auch urologische Erkrankungen. (hin)
Lesen Sie auch unseren Bericht über frühere Behandlungsversuche mit Botox gegen Depressionen: http://eppendorfer.de/wp-admin/post.php?post=1597&action=edit