Angst vor dem Klimawandel, finanzielle Sorgen, Stress im Stall – all das kann dazu führen, dass Landwirte in seelische Not geraten. In Schleswig-Holstein bieten nun die Landwirtschaftskammer und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) gemeinsam Hilfen an. „Mit uns im Gleichgewicht“ heißt das Präventionsprojekt für bäuerliche Familien.
„Die Hofübergabe und Pflegebedürftigkeit der Altbauern“, nennt Sönke Harders, Berater der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein, zwei klassische Knackpunkte, die für familiären Stress und Ärger auf einem Hof sorgen. Harders und acht weitere Fachleute sind im Auftrag der Kammer landesweit unterwegs und begleiten Betroffene in solchen Phasen. Der Druck auf die rund 11.000 Höfe im Land nehme zu, stellen er und Enno Karstens von der Abteilung Bildung, Betriebswirtschaft und Beratung der Kammer fest. „Das heißt keineswegs, dass alle Landwirte an ihre Belastungsgrenzen kommen“, betont Karstens. Trotzdem sei es wichtig, präventiv tätig zu werden und Hilfen anzubieten, bevor sich die Lage zuspitzt. Denn kommt es zum Schlimmsten, sind nicht nur Menschen, sondern auch Tiere betroffen: So stand im vergangenen Jahr in Bayern ein Bauer vor Gericht, der seine Kühe nicht mehr versorgt hatte. 170 Tiere verhungerten, weitere mussten notgeschlachtet werden (der Eppendorfer berichtete).
„Menschen in Land- und Forstwirtschaft sowie Gartenbau stark belastet”
Die SVLFG kümmert sich als Pflichtversicherung für die „Grünen Berufe“ seit Jahren um die Vorsorge gegen psychische Probleme wie Überlastung, Depression oder Sucht. „Wir wissen von unseren Versicherten und aus Studien, dass die Menschen in Land- und Forstwirtschaft sowie Gartenbau stark belastet sind“, sagt Regina Eichinger-Schönberger von der Stabstelle Gesundheitsangebote der bundesweit tätigen Versicherung. Seit 2017 betreibt die SVLFG eine Krisenhotline, rund 3000 Anrufe kommen jährlich unter der Nummer 0561 785 10101 an. An dem Rund-um-die-Uhr-Telefon sitzen Psychotherapeuten aus dem Netzwerk der Hamburger Firma „Integrierte Versorgungsprogramme“.
Weitere Partnerschaften sollen folgen
Durch die Zusammenarbeit zwischen Kammer und Versicherung, die Anfang 2023 startete, sollen die bestehenden Angebote besser verbunden werden. Der Weg ist in beide Richtungen offen: Das Beratungsteam der Kammer kann künftig zum Beispiel auf die Krisenhotline hinweisen, die Experten an den Krisentelefonen auf die Berater vor Ort. Es gehe um Austausch mit dem Ziel, den Landwirten den bestmöglichen Rat zu geben. Dabei sei „das Ergebnis mehr als die Summe der Elemente“, sagt Eichinger-Schönberg. Erfahrungen mit der Zusammenarbeit hat die Versicherung bereits in Bayern und Niedersachsen gesammelt. Kooperiert wird mit Landwirtschaftskammer oder Bauernverbänden. Noch in diesem Jahr sollen Partnerschaften in Nordrhein-Westphalen und Hessen folgen.
Neben Rat geht es auch um Geld: Mitglieder der SVLFG erhalten bei Bedarf je zehn Beratungsstunden, um wirtschaftliche und soziale Probleme zu besprechen. Bisher mussten die Landwirte in Schleswig-Holstein diese Angebote selbst bezahlen. Bei rund 85 Euro pro Beratungsstunde sei das für viele interessant, sagt Sönke Harders. „Bei einfachen Fällen reichen die Stunden aus. Bei komplexen Fällen merken die Beteiligten, dass die Gespräche helfen und machen dann meist weiter.“
Gerade bei psychischen Problemen helfe der finanzielle Anreiz, die Schwelle zu senken, sagt Regina Eichinger-Schönberger: „Landwirte sind nicht unbedingt affin zu Psychologie. Wir ebnen den Weg zur Hilfe.“ Esther Geißlinger