HAMBURG (hin). Ein großer Roman, Literatur und doch Realität, Krankheitsliteratur, beschrieben von einem, der sein Leid schmerzlich berührend einer breiten Leserschaft offenlegt – Thomas Melles Buchpreis-nominierter Roman „Die Welt im Rücken“ (eingehendere Besprechung folgt) ist ein großer Wurf.
Seine Veröffentlichung wurde von Interviews begleitet, in denen Melle auch deutliche Kritik an der derzeitigen gesellschaftlichen Wahrnehmung von Depressionen sowie am Versorgungssystem äußerte. „Es braucht mehr Geld, mehr Platz, mehr Personal“, so der Autor, der wegen seiner bipolar Störung Typ 1 „sicher zehnmal“ und teils monatelang in einer Psychiatrie behandelt wurde, in einem Spiegel-Interview (Nr. 35/2016).
„Was dort geschieht, ist zum Teil unmenschlich. Man wird mental ausgeschaltet, körperlich fixiert und dann gibt’s eine schnelle Visite“, so Melle dort weiter. Was ihm half waren Medikamente, Lithium zunächst, das er wegen Hautproblemen später durch das Antiepileptikum Valproinsäure ersetzte. Heute gehe es ihm „besser, immer besser“. Für die Gesellschaft wäre es wichtig, den Umgang mit ehemaligen Patienten zu überdenken, fordert er. Zurzeit seien sie „gebrand-
markt“. Nach einer Welle der Empathie nach Bekanntwerden der Depressionen bei Sportlern wie Sebastian Deisler und Robert Enke würden depressiv Erkrankte heute schräg angesehen. Melle spricht von einer „Erklärungshysterie“, die selbst völlig manisch sei.
Seit den Diskussionen um den Germanwings-Piloten halte die Depression plötzlich „ganz gegen ihr Wesen als Erklärungstool für Verbrechen“ her. „Bei den Amokläufern wären vermutlich eher narzisstische Persönlichkeitsstörungen zu diagnostizieren. Nur sind solche Störungen nicht selten, sind in unseren Selfie-Zeiten gar ein gesamtgesellschaftliches Problem. Indem man die Depressionen der Täter betont, hält man das Problem von der Gesellschaft fern. Das Problem gehört dann ins Krankenhaus, wird klinisch distanziert, gleichzeitig setzt sich im Diskurs eine noch tiefere Stigmatisierung fest.“