Aktionstag: Psychiatrie-Protest
für mehr Personal

In ganz Deutschland wollen Mitarbeiter von verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen am Dienstag, 10. September, im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages ein Zeichen für eine qualitativ gute Patientenversorgung und für mehr Personal setzen. Dazu hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aufgerufen. Die Psychiatrische Klinik Lüneburg (PKL) macht im Rahmen einer „Aktiven Mittagspause“ mit, zu der Betriebsleitung und Betriebsrat gemeinsam einladen.

Die Gewerkschaft befürchtet eine Verschlechterung der Personalsituation. Hintergrund ist eine bevorstehende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über Vorgaben für die Personalausstattung am 19. September. Der G-BA ist das höchste Entscheidungsgremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen.

Am 1. Januar 2020 soll eine Neufassung der Psychiatrie- Personalverordnung (Psych-PV) in Kraft treten, die die Zahl der Beschäftigten pro Patient vorgibt. Nach drei Jahren Vorbereitung hatte der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (G-BA) im Juni 2019 einen entsprechenden Entwurf zur Mindestpersonalausstattung vorgelegt, der unter anderem in psychiatrischen Fachgesellschaften, Klinik- und Berufsverbänden sowie Dachorganisationen der Selbsthilfe und Angehörigen auf Widerstand stößt. 

„Die noch geltende Psych-PV ist 30 Jahre alt, damals wurden Patienten noch in großen Sälen im Bett liegend behandelt“, beschreibt Dr. med. Marc Burlon, Ärztlicher Direktor der PKL, in einer Pressemitteilung der Klinik die frühere Situation. „Glücklicherweise hat sich die Psychiatrie in vielen Bereichen weiterentwickelt. Heute steht die individualisierte Therapie im Vordergrund, die sich auf die besondere Situation jedes einzelnen Patienten einstellt. Sie kann aber nur gelingen, wenn dafür ausreichend Personal vorgesehenist.“

Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie schreibt in einer Stellungnahme zum G-BA-Entwurf: „Das vorliegende Papier hinterlässt den Eindruck, dass hier nicht die Belange der psychisch erkrankten und behandlungsbedürftigen Menschen im Vordergrund stehen, sondern ökonomische und Partialinteressen.“ Diese Einschätzung teilt PKL-Pflegedirektor Egbert Bolmerg: „Der vorliegende Entwurf sieht Personaluntergrenzen und Betten- schließungen bei Nichteinhaltung vor ‒ das hat nichts mit einem verantwortungsbewussten Umgang in der Gesundheitsversorgung zu tun, sondern bedroht die Arbeit der psychiatrischen Kliniken bundesweit.“

Neben der Verschlechterung der Patientenversorgung werden auch schwierigere Arbeitsbedingungen für das Personal befürchtet. Peter Piep, Betriebsratsvorsitzender der PKL, erläutert: „Schon jetzt arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Da die Neuregelung keine Personalausweitung, sondern die Einhaltung von Untergrenzen vorsieht, werden sich die Arbeitsbedingungen eher weiter verschlechtern und die Gesundheit der Behandler und Pflegenden gefährden.“ Fachkrankenschwester Ulrike Steinert ergänzt: „Die Entscheidung über die Fortführung der PsychPV geht uns alle an, weil es um unsere zukünftige Arbeit geht und damit auch um die psychiatrische Versorgung von morgen. Dafür brauchen wir eine Psych-PV plus.“

Ver.di veröffentlichte in diesem Zusammenhang auch Umfrageergebnisse, wonach es in psychiatrischen Einrichtungen regelmäßig zu Übergriffen auf Beschäftigte und zur Zwangsfixierung von Patienten kommt. Fast die Hälfte der Beschäftigten erlebte einer dpa-Meldung zufolge in den vier Wochen vor der Befragung körperliche Übergriffe gegen sich selbst. Befragt wurden mehr als 2300 Psychiatrie-Beschäftigte aus 168 Krankenhäusern.

Drei von vier Mitarbeitern hätten zudem binnen vier Wochen mindestens eine Zwangsmaßnahme miterlebt, die Hälfte sogar mindestens einmal die Woche. Viele Beschäftigte machen zu wenig Personal hauptverantwortlich dafür, dass oft Zwang angewendet wird. (rd)