Dass Sozial- und Gesundheitsbehörde bis heute keinen Psychiatriebericht vorgelegt haben, aber parallel schon „im Alleingang“ an einem Modellprojekt zum Umgang mit Menschen mit so genanntem komplexen Hilfebedarf in Harburg gearbeitet werde, sorgt für schlechte Stimmung und Kopfschütteln innerhalb der Sozialpsychiatrie. Die Mitgliederversammlung der Hamburgischen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. (HGSP) forderte Anfang Dezember einhellig eine „Kehrtwende bei der Hamburger Psychiatrieplanung“.
HAMBURG (hin). Hintergrund: 2016 fanden diverse Expertenrunden statt, Ende 2016 gab es dann eine größere Veranstaltung und die Ankündigung des Psychiatrieberichts. Doch auf den warteten die Beteiligten 2017 vergeblich. Statt dessen wurde im Herbst der Entwurf für ein Modellvorhaben in Harburg bekannt. Dieses sieht ein Ampelsystem als „Leitfaden“ für eine verbindliche Kooperation mit Klienten mit komplexem Hilfebedarf vor, die in der Regel verschiedenste Hilfen benötigen, um allein oder in einer Wohngemeinschaft zu leben, und denen es mitunter an „Krankheitseinsicht“ fehlt.
„Grün“, so geht es aus dem Entwurf für einen „Leitfaden für regionale Kooperationsvereinbarungen“ hervor, bezieht sich auf eine schwierige Versorgungslage (z.B. kaum Unterstützung im persönlichen Umfeld und geringe „Compliance“), wobei aber kein unmittelbarer „Handlungszwang“ durch den Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) erforderlich sei. In so einem Fall soll eine schriftliche „Sachverhaltsdarstellung“ an alle Beteiligten – von Klinik, ASP und sozialpsychiatrischem Dienst bis zu Polizei und Justiz – verschickt werden.
„Gelb“ steht für eine „sehr schwierige Versorgungslage“ und die „Gefahr, dass die Versorgung und Ansprechbarkeit zeitnah nicht mehr sicher zu stellen sein wird“. Hier wird immer noch kein „unmittelbarer Handlungszwang“ durch den SpD gesehen, es sollen vielmehr etwa ASP- Einrichtungen und Betreuer bzw. Klinik das weitere Vorgehen per Telefon direkt abstimmen und alle weiteren Kooperationspartner schriftlich informieren.
„Rot“ bedeutet, dass eine drohende Selbst- oder Fremdgefährdung dazu kommt. Dann, so der Entwurf, „wird umgehend eine Telefon- schaltkonferenz initiiert, gegebenenfalls bei drohenden nicht unerheblichen Straftaten unter Beteiligung der Polizei und Staatsanwaltschaft.“
Als „völlig ungenügend“ für die weitere Psychiatrieplanung in Harburg wurde das Papier Anfang November in einem Sitzungsprotokoll von der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) Hamburger Süden kritisiert. Das Papier beziehe sich im Grunde nur auf Risikopatienten mit Gefährdungspotential. Wichtige Fragen seien nicht geklärt. Zum Beispiel: Wie steht es um Datenschutz und ärztliche Schweigepflicht? Wer trägt rechtlich die Verantwortung, wenn etwas passiert? Und wer bestimmt überhaupt den Personenkreis von Menschen mit komplexem Hilfebedarf? Das Ampelsystem sei im übrigen institutionsübergreifend viel zu träge und zu spät greifend. Benötigt werde ein Plan, der die Versorgung aller im Bezirk regelt und nicht nur die der Notfallklienten.
Hier werde der dritte Schritt vor dem zweiten, nämlich einem Psychiatrieplan auf Basis eines Psychiatrieberichts, gemacht, kritisiert Helmut Krüger vom Vorstand der HGSP, der der Behörde einen „Alleingang“ vorwirft. Es sei völlig unverständlich, warum ein Jahr verstrichen sei, ohne dass Ergebnisse dessen präsentiert wurden, was gemeinsam als Bedarfe der Menschen mit psychischen Problemen zusammengetragen wurde. Krügers Verdacht: Mit diesem Modellentwurf für Risikopatienten in Harburg gehe es in erster Linie darum, das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu befriedigen – und nicht um die bessere Versorgung schwer psychisch kranker Menschen.
Dabei gelte es vielmehr, die Gesamtsituation in den Blick zu nehmen und zu fragen, was u.a. die Klienten mit schweren Erkrankungen bräuchten. Das könnten zum Beispiel auch „besondere Wohnformen mit Krisenbereitschaftsdienst und einzelnen fakultativ geschlossenen Plätzen“ in Hamburg und mit Versorgungsverpflichtung der Bezirke sein. Ferner nennt Krüger einen Krisendienst für alle – aufgesetzt auf bestehende 24/7-Strukturen der Integrierten Versorgung. Die HGSP insgesamt fordert eine grundsätzliche Neujustierung, insbesondere bei den Themen Wohnen, Arbeit, aber auch allgemeine Versorgung und Behandlung.
Auch die AG Reha kritisierte das Vorgehen zum Redaktionsschluss deutlich – wenngleich sie die grundsätzliche Idee eines Modellbezirks befürwortete, dabei aber die Einbindung eines breiteren Kreises an Akteuren forderte. In einem Brief an die Behörde äußerte sie zudem „deutliche Zweifel am Umgang mit Datenschutzbestimmungen“. Von „Missachtung von Grundrechten“ ist die Rede. „Wieso und mit welcher Legitimation sollen frühzeitig Polizei und Justiz eingeschaltet werden?“, wird gefragt. „Die einschlägigen Vorschriften des Datenschutzes werden beachtet“, erklärte die Behörde auf Nachfrage. Sich ergebende Fragen würden bei der Erarbeitung der Leitlinie geklärt, auch eine datenschutzrechtliche Abstimmung sei vorgesehen.
Im Anhang: Der Behördenentwurf für die Leitlinien sowie Antworten der Behörde auf Fragen zum Thema. Ein Statement der AG Reha folgt in Kürze …
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