Es klingt paradox: Psychotische Störungen können nicht nur durch Kiffen ausgelöst werden, Cannabiskonsum verschlechtert in der Regel auch die Symptome und den Verlauf einer Schizophrenie. CBD wiederum – der nicht Rausch erzeugende und süchtig machende Hanf-Wirkstoff – kann offenbar hilfreich gegen Psychosen sein. Zugleich sind überdurchschnittlich viele Psychosekranke auch starke Raucher. Eine kleine Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Basel und Lübeck setzte diese beiden Faktoren in eine nutzerorientierte Intervention um – mit guten Ergebnissen. Es ist die erste Studie überhaupt, die die Wirkung von gerauchtem CBD in so genannten Hanfzigaretten als Zusatztherapie bei psychotischen Symptomen untersuchte.
Zum Hintergrund erklärt der daran beteiligte Ärztliche Direktor der Unipsychiatrie Lübeck, Prof. Stefan Borgwardt: „Wir haben viele Patienten, die psychotische Erkrankungen haben, aber Medikation ablehnen. Oft werden sie dann ohne Medikation entlassen oder gegen ihren Willen auf geschlossenen Stationen behalten – ohne Behandlung. Da stellt sich die Frage, was kann man anbieten?“ Auffällig war, dass fast alle Patienten rauchten und viele Cannabis konsumierten, einige bauten auch selbst an. Besonderheit in der Schweiz: Hier gibt es CBD-Zigaretten im Supermarkt, für umgerechnet 15 Euro pro Schachtel. Nachdem dann über eine Studie berichtet wurde, wonach Cannabidiol zu Symptomreduktion bei Psychosen führte, nahmen die Wissenschaftler dies zum Anlass für eine Art „Real world Studie“. Dabei wurden zwar nicht die Symptome weniger, aber die nötige Dosis an Antipsychotika konnte reduziert werden.
Für die randomisierte und placebokontrollierte Untersuchung wurden 31 akut psychotische Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe erhielt – ohne ihr Wissen – vier Wochen lang Zigaretten mit CBD-reichem Cannabis und einem THC-Wert unter 1 Prozent als Zusatztherapie zu einer psychiatrischen Standardbehandlung, die andere rauchte normale Zigaretten. Nach 25 Wochen wurde nachuntersucht. Ergebnis: Vergleichbare Behandlungsergebnisse, aber bei der Placebo-Gruppe „ein Anstieg des Antipsychotika-Medikamentenäquivalents”.
Antipsychotika-sparende Wirkung von CBD-Zigaretten?
Die Wissenschaftler schlossen daraus: Die vorgestellten Befunde könnten auf eine Antipsychotika-sparende Wirkung von CBD-Zigaretten als alternative Begleittherapie bei akuter Psychose hindeuten. Es bedürfe allerdings weiterer, größerer Studien. Es sei nicht hundertprozentig geklärt, so Borgwardt, ob Cannabidiol durch anxiolytische, also Angst lösende Effekte, ähnlich wie durch Beigabe eines Beruhigungsmittels oder durch spezifisch antipsychotische Effekte wirke. Das Problem sei, dass nur viel rauchende Patienten eingeschlossen werden konnten, um überhaupt auf die nötige CBD-Dosis zu kommen.
Müsste man vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse nicht mehr Patienten den Zugang zu CBD ebnen, damit sie sich nicht illegal selbst behandeln? „Es ist ja eine zugelassene Substanz, nur für andere Bereiche. Warum es da keine Ausweitung gibt ist unklar“, so Prof. Stefan Borgwardt. Klar sei dagegen die Evidenzlage: „Reines Cannabidiol reduziert Neuroleptika.“ Auf dem Schwarzmarkt ist reines Cannabidiol allerdings nicht zu haben. Suchtmediziner Prof. Klaus Junghanns gibt zudem zu bedenken: „Der Placeboeffekt ist hoch.“ Daher sei die Beweislage für eine Zulassung in diesem Bereich nicht gut. Und wie steht es um hochdosiertes CBD in Tablettenform? Da es dafür keine Zulassung für diesen Bereich gibt, seien die Preise entsprechend hoch. Tagesdosen kosten mehrere hundert Euro, bei Herstellung in der Klinik-Apotheke ca. 70 bis 80 Euro pro Tag, das sei nicht finanzierbar.
„Reines Cannabidiol reduziert Neuroleptika”
Dabei gibt es auch Einzelfallberichte über einen sehr wirkungsvollen Einsatz. So beschrieben Prof. Stefan Borgwardt und Baseler Kollegen im vorigen Jahr den Fall eines cannabissüchtigen und Kokain konsumierenden Schizophreniepatienten, bei dem zudem eine Persönlichkeitsstörung festgestellt wurde. Im Laufe von acht Jahren wurde er aufgrund von psychotischen Schüben und anhaltendem Drogenkonsum 30 Mal ins Krankenhaus eingeliefert. Was ihm half, waren CBD-Zigaretten sowie eine Off-Label-Behandlung mit Methylphenidat zur Unterstützung der Abstinenz. „Der Patient verspürte ein deutlich geringeres Bedürfnis, illegales Cannabis mit hohem THC-Gehalt zu konsumieren. Er hörte vorerst auf, Kokain zu konsumieren und wurde seitdem nicht mehr ins Krankenhaus eingeliefert“, heißt es in dem Bericht. Fazit der Autoren: Der Ersatz von nicht medizinischem (THC-) Cannabis durch CBD-Zigaretten könnte bei diesen Patienten zu einer reduzierten THC-Gesamtaufnahme beitragen, ohne dass sie ihre gewohnte Konsumform ändern müssen. Anke Hinrichs
* Köck P, Lang E, Trulley VN, Dechent F, Mercer-Chalmers-Bender K, Frei P, Huber C, Borgwardt S.: Cannabidiol Cigarettes as Adjunctive Treatment for Psychotic Disorders – A Randomized, Open-Label Pilot-Study. Front Psychiatry. 2021;12:736822.