Was für eine Kombination: Autor Thomas Melle hat in seinem Roman „Die Welt im Rücken” seine schwere bipolare Erkrankung zum Inhalt gemacht. Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff verbrachte seine Kindheit in den 70ern als Sohn des „Anstaltsleiters” auf dem Gelände der Psychiatrie in Schleswig, was er später zu dem Roman „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war” verarbeitete. Theaterregisseur Jan Bosse brachte nun beides zusammen, indem er „Die Welt im Rücken” für das Wiener Burgtheater als dreistündiges Meyerhoff-Solo auf die Bühne brachte. Jetzt war die Inszenierung im Rahmen des Hamburger Theaterfestivals zu sehen – und restlos ausverkauft. Martina de Ridder war dabei – und überwältigt. Lesen Sie selbst …
„Schwarz ist schwarz. Nein. Schwarz kann immer schwärzer werden.“
Fragmentarische Notizen eines unvergesslichen Theaterabends
über eine gemeine Seelenkrankheit
Er betritt die Bühne und sagt:
„Es wird eher anstrengend werden. Es ist anstrengend, die eigene Katastrophe auszustellen. Ich bin bipolar.“
Und auch, wenn man gar nicht weiß, was das eigentlich ist: “bipolar“ ,
so weiß der Zuschauer gleich nach diesen zu Beginn gesprochenen Sätzen, dass es hier um etwas Gewaltiges, etwas Monströses, etwas Existenzielles gehen wird, zu dem man nur ja oder nein sagen kann. Ein Dazwischen wird es nicht geben. Nicht an diesem Abend. Nicht bei diesem Darsteller. Nicht bei dieser Krankheit.
Man muss sich entscheiden. Es entscheiden sich alle, ihm zu folgen – in diesem übervollen Theatersaal in der Kampnagelfabrik, in der am 24. September Joachim Meyerhoff als Gast des Wiener Burgtheaters den viel gepriesenen Roman von Thomas Melle „Die Welt im Rücken“ (s. Eppendorfer Nr 10/2016, S 17, http://eppendorfer.de/zwischen-allen-polen-thomas-melle/) auf die Bühne bringt, sie entscheiden sich ihm zu folgen in den Wahnsinn, in die Verzweiflung und in die Hoffnungslosigkeit dieser Krankheit, unter der der Autor Thomas Melle seit Jahren leidet.
Wie geht das? Wie bringt man diese Krankheit auf die Bühne? Wie bringt man einen Menschen, der an dieser Krankheit leidet, auf die Bühne? Wie lässt sich das zeigen, wie darstellen, wie erklären, wie kann man darüber
sprechen, wie darüber nachdenken?
Dies alles gelingt Jan Bosse (Regie) und dem großartigen Joachim Meyerhoff (einziger Darsteller) in zutiefst beeindruckender Weise:
Meyerhoff lebt die Krankheit, er stellt sie dar UND er reflektiert sie.
Er fährt in den Himmel und gleich darauf in die Hölle. Er entwirft Szenarien, in denen er seine Freunde zu Wort kommen lässt, die ihm zunehmend irritiert und hilflos gegenüberstehen. Er zitiert die Psychiater, die ihn nicht mehr erreichen. („Hören Sie Stimmen?“ – „Ja, Ihre“) Vor allem aber inszeniert er sich selbst.
„Ich habe mit Madonna gevögelt und Picasso in Berlin im Klo eines Techno-Clubs getroffen und Thomas Bernhard aß im Wuppertaler Bahnhof einen Big Mac.“
Vom Bühnenrand aus beschimpft er die Zuschauer in der ersten Reihe.
„Wieso halten Sie Ihre Tasche fest? Wie so eine alte Omi! Und Sie da vorne!Wieso lachen Sie? Sie sind doch todtraurig! Tooodtraurig!“
Einem Zuschauer klaut er den edlen Schal. „Hey!!“ ruft dieser in aufgeregter Empörung. Das interessiert Herrn Meyerhoff nicht. Alles blöde Kleingeister!
Denn in der Manie kann und darf man alles. Man ist ganz oben. Man ist der Größte. Keiner kann einem was. Und schon gar nicht so`n kleiner blöder Zuschauer da vorn in der ersten Reihe, der seinem Schal hinterherkräht.
Und ständig weht da (wie er es formuliert) „ein Wind vom Paradiese.“
Er zerrt einen Kopierer auf die leere Bühne. Er zieht sich aus, legt seine unterschiedlichen Körperteile auf den Kopierer. Die entstehenden Kopien hängt er – auf einer Leiter stehend – an eine schwarze Wand im Bühnenhintergrund. Beim Genital drückt er auf den Knopf und sagt: „Bitte größer!“ Das Lachen bleibt im Halse stecken. Fragmentierter Körper. Ein Kreuz entsteht: „Ich war der lang erwartete Messias“. Wieso „war“? Die Vergangenheit ist nicht vergangen, sondern bittere Gegenwart. Man weiß:
Es ist nicht vorbei. Diese Krankheit ist nie vorbei. Das ist das Gemeine.
Kurze Zeit später sackt er in sich zusammen. Er sitzt nackt am Tisch: „Ich sitze da und bin ein Gegenstand. Seelenlos und tot. Meine Adern sind Kabel…..“
Es gibt den manischen Wahn und es gibt die abgrundtiefe Niedergeschlagenheit. Dazwischen gibt es – wenn überhaupt – Übergänge, die nicht zu halten sind. Außer vielleicht mit Medikamenten.
Das hat er drei Mal in der Psychiatrie erlebt.
„Das Leben hat seine Spuren hinterlassen. Die Chemiebomben beschädigen meinen Körper. Das täglich ausgezahlte Lösegeld heisst Normalität.“
Aber der Maniker will nicht normal sein. Der Maniker liebt seine Manie und er hasst seine Depression. Und das eine gibt es nicht ohne das andere. Aber beide Affekte sind zu stark, als dass man ihnen in regulierender Weise begegnen könnte.
Er schiebt ein weißes transparentes Ungetüm auf die Bühne, was ihm nicht so recht gelingen will. „Man braucht mal Hilfe“ sagt er. Vier namenlose Gestalten kommen und helfen ihm. Er spricht sie an mit einer immer gleichen Frage: „Ist das der neue Vorhang? Ist das der neue Vorhang?“
Aber es kommt keine Resonanz.
Am Ende sitzt und hängt er in der riesigen „Zelle“, die die halbe Bühne einnimmt. Man macht sich Gedanken, was dieses Gebilde darstellen soll.
Es ist transparent. Es wechselt oft die Farbe, es hat Ein- und Ausgänge. Meyerhoff klettert an den Innenwänden rauf und runter. Innen und Außen verschwimmt. Er sagt:
Die Hoffnung heißt: Nie wieder manisch werden!
So recht glaube kann und will man es ihm nicht.
Am Ende waren die Zuschauer erschüttert, begeistert, erschöpft und zutiefst erfüllt von einem grandiosen Theaterabend, und sie belohnten Meyerhoff mit standing ovations und nicht enden wollendem Applaus.
Das passte irgendwie.
Martina de Ridder.