Drob Inn öffnet
Substitutionsambulanz

Aus dem Archiv (2020):

Neue Anlaufstelle für Opiatkonsumenten in Hamburg: die niedrigschwellige Substitutionsambulanz im Drob Inn – gelegen in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof. Sie ist jeden Tag dreieinhalb Stunden geöffnet und bietet die Substitution auch für Menschen ohne Krankenversicherung an. Bezahlt wird dieses Angebot aus dem Corona-Etat der Stadt Hamburg, da es aufgrund der Krise einen erhöhten Bedarf an Substitution gebe. Bis Mitte April wurden bereits 65 Personen in der Substitutionsambulanz registriert. Das Angebot diene jedoch auch dem Schutz der Bevölkerung. „Das ist ein kleiner Anfang und auf jeden Fall ein großer Schritt in die richtige Richtung“, resümiert Einrichtungsleiter Peter Möller im Gespräch mit dem EPPENDORFER. Diese Substitutionsambulanz sei ein einzigartiges Modell, das es bislang so nur in Hamburg gebe. 

Für Möller ist die Substituierung auch nicht versicherter Menschen ein Ziel, das er schon lange verfolgt. „Doch erst Corona hat den Weg dafür geebnet.“ Die Erlaubnis für die Substitutionsambulanz besteht jedoch nur vorübergehend für die Zeit der Krise. „Dabei ist so ein Angebot grundsätzlich sinnvoll“, so Möller. Ihn erinnere die durch die Covid19-Pandemie entstandene Ausnahmesituation an die Zeit, als aufgrund der sprunghaft angestiegenen AIDS-Erkrankungen plötzlich auch viel mehr möglich war als zuvor. Christine Tügel vom Vorstand des Trägervereins Jugendhilfe e.V. sieht das ähnlich: „Hier hat die Stadt in einer Krisensituation schnell und verantwortungsvoll gehandelt.“ Sie wird die Substitutionsambulanz so lange anbieten, wie es nötig ist.

Die Probleme der Klientel von Hamburgs mit Abstand größtem Drogenkonsumraum seien vielschichtig. Etwa die Hälfte derjenigen, die das Drob Inn aufsuchten, sei obdachlos, der Anteil Geflüchteter noch höher. „Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, sich zurückzuziehen“, so Tügel. Anlaufstellen wie das Drob Inn dienten als eine Art Zuhause oder Wohnzimmer. Das größte Problem der Menschen sei aktuell, Geld zu beschaffen. Bisherige Einnahmequellen wie Prostitution, Betteln, Flaschensammeln, Ladendiebstahl oder Zeitungsverkauf seien wegen der angeordneten Restriktionen zum Teil komplett weggebrochen. Auch die Essensausgabe durch Ehrenamtliche sei in der Krise stark zurückgegangen. Drogen seien in Hamburg nach wie vor zu bekommen, es hapere jedoch an den Mitteln, um diese zu bezahlen. Möller: „Unsere Klientel erweist sich in Krisenzeiten zwar als anpassungsfähig, Methadon ist jedoch eine große Hilfe, um die Suchtproblematik zu lindern.“ 

Großteil der Abhängigen zählt zur absoluten Risikogruppe

Ein weiteres großes Problem sei die schlechte Gesundheit der Menschen. „Doch wegen des Suchtdrucks beschäftigen sie sich kaum damit“, so Tügel. „Ein großer Teil der Drogenabhängigen gehört zur absoluten Risikogruppe“, so Peter Möller. Bis zu 70 Prozent seien mit Hepatitis C infiziert. Viele litten auch unter Abszessen, Immunschwäche oder schweren Lungenerkrankungen wie COPD. Um die allgemeine Situation der Klientel zu verbessern, wollte das Drob Inn noch im April damit beginnen, Lunchpakete auszugeben.

Um eine Verbreitung von Covid19 unter den Klienten des Drob Inn bereits im Keim zu ersticken, soll zudem jeder, der entsprechende Symptome aufweist, getestet werden. Bislang ist es laut Tügel nicht dazu gekommen. „Doch es ist eine offene Frage, was im Falle einer Infektion mit diesen Menschen passieren soll.“ Obdachlose müssten in diesem Fall öffentlich-rechtlich unter- gebracht werden, auch Substitution und aufsuchende Arbeit wären nötig. Obdachlosenunterkünfte seien für die Isolation von Infizierten jedoch ungeeignet. Eine gute Möglichkeit sieht Tügel dagegen in der Unterbringung in leerstehenden Hotels. „Dies sollte von der Stadt forciert werden.“

Substituierende Ärzte schätzten die Zahl der nicht behandelten Opioid-Abhängigen in Hamburg auf bis zu 4000. Das Beratungs- und Gesundheitszentrum Drob Inn werde täglich von 300 bis 400 verschiedenen Personen aufgesucht. „Bei gutem Wetter haben wir hier auch schon mal 240 Leute gleichzeitig“, so Möller. Wie viele Personen die Angebote des Drob Inn nutzen, lasse sich jedoch nicht genau sagen, da sich dort niemand ausweisen muss. Nur für die Substitution sei eine Registrierung erforderlich.

In der Substitutionsambulanz erhalten die Opiatkonsumenten mit Hilfe eines Dosiersystems Methadon in einem Trinkbecher verabreicht, welches sie unter Aufsicht einnehmen müssen, um zu gewährleisten, dass es nicht weiterverkauft wird. Für das Angebot sind zusätzliche Ärzte und Sozialpädagogen im Drob Inn tätig. Weitere Informationen erhalten Sie unter www.jugendhilfe.de.  

 Was jetzt wichtig ist

Angesichts der für die drogenabhängigen Menschen besonders schwierigen Situation ist es für Jugendhilfe-Vorständin Christine Tügel wichtig, die Betroffenen zu stabilisieren und Anlaufstellen weiterhin geöffnet zu lassen und von den Kontaktverboten auszunehmen. „Diese Menschen haben kein stabiles soziales Netzwerk, wir dürfen sie nicht vergessen und allein lassen.“ Die unterstützende Daseinsvorsorge müsse eingeplant werden. Darüber hinaus sei es wichtig, keine Entzugsplätze abzubauen, was aufgrund der Corona-Krise bereits geschehen sei. Und es müsse geklärt werden, was mit drogenabhängigen Menschen passieren soll, wenn diese sich mit dem Corona-Virus infizieren – insbesondere, wenn sie obdachlos sind. Für Peter Möller ist zudem wichtig, dass ein generelles Umdenken stattfindet. Bei der Bekämpfung der Drogenproblematik sei eine niedrigschwellige Substitution der Betroffenen wesentlich sinnvoller als viele der Aktivitäten von Zoll und Polizei. Zwar könne es aufgrund der aktuell gedrosselten Warenströme zu einem eingeschränkten Angebot kommen, doch die Drogenmafia sei sehr erfinderisch und es werde immer Stoff  auf dem Markt geben. „Selbst nach der Beschlagnahmung von 4,5 Tonnen Kokain durch den Zoll im vergangenen Jahr blieb der Preis und die Qualität des Stoffes auf der Szene stabil“, so Möller. Gesa Lampe (Aus: EPPENDORFER 3/20)