„Existenzielle Krisen und die Frage nach dem Sinn” – so lautete das Thema des 7. Hamburger Psychotherapeutentags, der am 9. Juni rund 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Räumlichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg lockte.
Er war reich, schön und adelig, er war gesund und begabt, er schrieb Romane, die seine Leser begeisterten, er hatte eine liebende Frau und Kinder, man denkt, er hätte glücklich sein müssen. Aber er war es nicht. Er war so unglücklich, dass seine Diener die Gewehre vor ihm verstecken mussten, um einen Suizid zu verhindern. Die Rede ist von Leo Tolstoi. Und die Rede ist vom Sinn des Lebens ebenso wie von existenziellen Krisen, in die wir stürzen, wenn uns eben dieser Sinn abhanden kommt.
Ein Vortrag von dem Philosophen Dr. Thomas Kriza über die Auseinandersetzung mit diesen Fragen bildete den Einstieg in den Fachtag für Psychotherapeutinnen und –therapeuten. Auch und gerade sie sind in der Arbeit mit ihren Patienten immer wieder mit der Frage nach dem Sinn existenzieller Krisen befasst – ebenso wie mit der Frage nach einem therapeutisch angemessenen und hilfreichen Umgang mit eben diesen Krisen.
Kriza ging es in seinem Vortrag „Die philosophische Frage nach dem Sinn des Lebens“ jedoch weniger um die Sinn-Krisen als vielmehr um die grundlegende Auseinandersetzung mit der Lebens-Sinn-Frage, welche quasi die Folie für den weiteren Verlauf des Tages bildete. Auf die Frage nach dem „Sinn“ – so Kriza – gibt es nicht die eine gute und wahre Antwort (wie schön und wie schrecklich wäre dies auch!), sondern den Sinn unseres Lebens müssen wir „in uns selbst erzeugen“. Dies – so könnte man Kriza verstehen – kann nur gelingen, indem wir in uns die Balance finden zwischen der Wahrnehmung und Anerkenntnis der „bitteren Wahrheiten“ unseres Daseins auf der einen und dem Ergreifen der Chance unserer Freiheit der Wahl auf der anderen Seite. Der Auftrag, der aus diesen Einsichten für Psychotherapeuten erwachsen würde, könnte heißen, dass wir unseren Patienten in genau diesem Findungsprozess eine klare, solidarische und geduldige Begleitung anbieten mit dem Ziel, diesen Spagat in eine für sie lebbare Figur zu transformieren.
Von diesen Gedankengängen – der Sinnerzeugung in uns selbst – war der Weg nicht weit in die Gedanken, die sich Gwen Schulz ( Genesungsbegleiterin) und Thomas Bock (Leiter der Psychosenambulanz am UKE) zur Frage nach dem Sinn psychotischen Erlebens machten. Gwen Schulz – als selbst Betroffene – sprach in beeindruckender und berührender Weise aus dem Innern ihres Erlebens.
Das Schlusslicht der drei Vorträge, die den Vormittag füllten, bildete Anja Mehnert (Professorin und Leiterin der Abt. für med. Psychologie und Soziologie an der Uni Leipzig), die in ihren Ausführungen den Stand der Forschung zum Thema existenzieller Belastungen und sinnzentrierter Interventionen referierte.
In der abschließenden Podiumsdiskussion wurden noch einmal die zentralen Sinnfragen gestellt und diskutiert, nämlich: Wie können Psychotherapeutinnen und –therapeuten mit Ohnmacht und Begrenztheit umgehen in einer Welt, die diese Frage mit einem Machbarkeitswahn beantwortet? Und wie können sie den Widerspruch auflösen zwischen dem zunehmenden (wirtschaftlichen) Effizienzdenken und dem Wunsch, den Patienten Zeit zu geben? Einer von mehreren Versuchen, auf diese Fragen Antwort zu geben, war die (von Thomas Bock zitierte) Aufforderung einer Patientin an ihn: „Ihr müsst mehr Weltliteratur lesen und weniger Manuale!“
Martina de Ridder
Einen ausführlicheren Bericht lesen Sie in der nächsten EPPENDORFER-Druckausgabe (4/2018), die am 5. Juli erscheint.