Im Mutterleib vergiftet

Tobias Wolff (links) und Timm Theen unterstützen als Projektleiter des FASD-Fachzentrums Hamburg e.V. Betroffene und Pflegeeltern. Foto: Freitag

Jährlich wird allein in Deutschland bei mehr als 13.000 Neugeborenen von einer Fetalen Alkoholspektrumstörung (FASD) ausgegangen. Trotz dieser hohen Zahl ist das Wissen über diese häufigste angeborene Behinderung in der Bevölkerung immer noch gering. Das 2019 gegründete FASD-Fachzentrum Hamburg e.V. arbeitet daran, dies zu ändern – mit Beratung, Aufklärung, Projekten und Vernetzung rund um die Thematik FASD.


Konsumiert eine Frau während der Schwangerschaft Alkohol, riskiert sie irreparable schwere Behinderungen ihres Babys. Die Alkoholmoleküle überwinden die Plazentaschranke und gelangen über die Nabelschnur zum Fötus. Die Leber des Ungeborenen kann den Alkohol nur sehr verzögert abbauen, weshalb das Gift im Fötus zehnmal länger verbleibt als im Körper der Mutter. Projektleiter Tobias Wolff erklärt: „Allein in Hamburg kommen jährlich circa 500 Babys mit FASD zur Welt.“ Eine unbedenkliche Schwellendosis bei Alkoholkonsum in der Schwangerschaft gibt es nicht, selbst Getränke mit dem Label “alkoholfrei” enthalten bis zu 0,5 Promille Restalkohol.


Diagnose und Herausforderungen

Die FASD-Diagnose ist nicht einfach. Gesichtsauffälligkeiten wie schmale Oberlippe, Stupsnase und kleine Zähne können Hinweise geben, jedoch sind nur bei circa 20 Prozent der Kinder Gesichtsmerkmale ersichtlich, die sich teils mit dem Heranwachsen verwachsen. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme, Verhaltensauffälligkeiten und Impulskontrollstörungen sind weitere Anhaltspunkte. “FASD ist eine irreversible hirnorganische Schädigung,” sagt Wolff. Viele Betroffene können ihren Alltag später nicht allein bewältigen, etwa 80 Prozent können nicht eigenständig leben, und 30 bis 50 Prozent sind im Erwachsenenalter von Obdachlosigkeit bedroht.


Betreuung und Unterstützung

Das FASD-Fachzentrum Hamburg e.V. dient als erste Anlaufstelle für Pflege- und Adoptiveltern von Kindern und Jugendlichen sowie für volljährige Betroffene. Es unterstützt in Hilfeplangesprächen, berät in überfordernden Lebenslagen und bietet Schulungen für Pflegeeltern an. Die Arbeit des Fachzentrums umfasst auch Aufklärungsarbeit in Schulen, Kitas und bei Behörden. “Eine Diagnose kann eine Entlastung sein,” ist Tobias Wolff überzeugt. Sie hilft den Eltern, die Herausforderungen besser zu verstehen und angemessene Unterstützung zu finden.


Die Notwendigkeit eines tragfähigen Konzepts

Hamburg brauche ein tragfähiges Konzept für Betroffene mit FASD. Tobias Wolff und Timm Theen betonen die Notwendigkeit von Entlastungsangeboten und besserer finanzieller Unterstützung für Pflegeeltern. “Wir haben viele tolle Pflegeeltern, aber sie werden nicht ausreichend gewürdigt, wertgeschätzt oder unterstützt,” sagt Wolff. Oft müssen Pflegeeltern ihre Arbeitszeit reduzieren oder den Job aufgeben, um die Pflegeanforderungen zu erfüllen.


Positive Aspekte und individuelle Fähigkeiten

Trotz der Herausforderungen zeigen FASD-Kinder immer wieder positive und beeindruckende Seiten. Wolff und Theen sind von den individuellen Fähigkeiten und der Offenheit der Betroffenen begeistert. Es lohne sich, bei FASD dranzubleiben, die Stärken zu stärken und kleine Erfolge groß zu feiern.


Ausblick

Tobias Wolff und Timm Theen hoffen auf weitere professionelle Unterstützung, insbesondere von PsychiaterInnen oder NeurologInnen, um erste FASD-Diagnostik-Möglichkeiten für Volljährige in Hamburg und Norddeutschland aufzubauen. Sie betonen die Wichtigkeit einer umfassenden Unterstützung und eines besseren Verständnisses für FASD, um den Betroffenen und ihren Familien langfristig zu helfen.

(frg/rd, gekürzte Fassung des Originalbeitrags aus der Printausgabe 3/24)

FASD Fachzentrum Hamburg e.V.
Adresse:
Rothenbaumchaussee, Hamburg, https://fasd-fachzentrum.hamburg