EKT zeigt auch ohne Einwilligung gute Ergebnisse – aber sollte man sie auch unter Zwang anwenden? Das ethisch hochbrisante Thema EKT gegen den „natürlichen Patientenwillen“ wurde im Rahmen eines Symposiums auf dem Psychiatrie-Weltkongress im Oktober vorigen Jahres klinisch, ethisch und juristisch beleuchtet. Der große Aufschrei blieb aus.
„Würden Sie jemand EKT-ieren, der sich mit Händen und Füßen wehrt?“ Auf diese Frage antwortete Alexander Sartorius vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim: „Das haben wir schon gemacht.“ Eine Jugendliche in akut lebensbedrohlichem Zustand habe gebrüllt und sei kaum zu fixieren gewesen. Die Lösung: auf der Station vorsediert und dann EKT unter Narkose. „Technisch handelbar“, so der Experte trocken.
Die Elektrokrampftherapie (EKT, auch Elektrokonvulsionstherapie) gilt als besonders wirksame, technische Behandlungsmethode bei besonders schweren, therapieresistenten Depressionen und katatonen Zuständen bei Schizophrenie. Mit wenige Sekunden andauernden Stromimpulsen wird in Kurznarkose ein epileptischer Anfall ausgelöst – der in schweren Fällen im Rahmen von acht bis zwölf Behandlungen erstaunlich gut und vergleichsweise schnell wirkt. Häufigste unerwünschte Wirkung sind Gedächtnisprobleme, die in der Regel ziemlich rasch wieder abklingen. In Deutschland wird EKT rund 30.000 mal pro Jahr an ca. 184 Kliniken eingesetzt. Die Wirksamkeit der EKT gilt unter Ärzten inzwischen als unumstritten. Bei Nichtpsychiatern und Patienten stößt sie bis heute auf Unbehagen. Sollte sie vor diesem Hintergrund auch zwangsweise, gegen den Willen des Patienten, eingesetzt werden?
Sartorius: „Erschreckend wenig EKT” in Deutschland
Für Prof. Alexander Sartorius, EKT-Experte am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI), wird angesichts der Wirksamkeit im internationalen Vergleich in Deutschland „erschreckend wenig EKT“ eingesetzt. Dabei habe EKT in der S3 Leitlinie den höchsten Evidenzgrad bezüglich der Behandlung von vital bedrohlichen und therapieresistenten Depressionen. Aber EKT gegen den so genannten natürlichen Patientenwillen – also dem nicht freien Willen im Zustand „krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ – erscheint ethisch schwierig. Wobei: Da sie auch im Fall von Zwang hochgradig wirksam sei, bezeichneten es die Verfasser eines Beitrags in der Zeitschrift Nervenarzt (Ausgabe 1/2017) gerade als unethisch, die EKT „in begründeten Einzelfällen“ nicht als Maßnahme gegen den natürlichen Patientenwillen in Betracht zu ziehen. Zur Häufigkeit von Zwangs-EKT wird darin eine Zahl aus 2008 genannt: weniger als 0,5 Prozent aller mittels EKT behandelten Patienten.
Sartorius schilderte Fallbeispiele, bei denen sich etwa im Fall eines katatonen Syndroms schon nach drei EKT „ein dramatischer Rückgang“, nach 12 EKT Remission zeigte. Im Fall einer so genannten Perniziösen Katatonie – einer seltenen Extremform mit häufig lebensbedrohlicher Komplikation – sei EKT „Parade-Indikation“ und einzige akut lebensrettende Maßnahme.
Dr. David Zilles ist leitender Oberarzt an der Universitätspsychiatrie Göttingen. Er wollte wissen, wie EKT wirkt, wenn sie unter Zwang eingesetzt wird. Dafür wurde ein Fragebogen an alle EKT-Kliniken verschickt. Der Rücklauf – circa 30 Prozent – war enttäuschend. Daraus hervor gingen 17 Fälle: sechs Männer und elf Frauen, mit den Diagnosen Schizophrenie, Psychotische Depression, Katatonie sowie den Indikationen Nahrungsverweigerung und Suizidalität. 14 ging es nach der Zwangsbehandlung deutlich oder sehr viel besser, bei 13 wurde die Einwilligungsfähigkeit wieder hergestellt, 12 stimmten der Zwangsmaßnahme rückwirkend doch zu. An Gründen, die gegen eine EKT sprechen könnten, nannte Zilles neben fehlender Erfahrung die rechtliche Unsicherheit und das subjektive Gefühl, dass die Maßnahme zu invasiv sei. Doch: „Je schwerer die Erkrankung, desto mehr Nebenwirkungen können wir in Kauf nehmen“, so Zilles. Sein Fazit: EKT gegen den Willen sei extrem selten, aber häufig sehr erfolgreich. „Die klinische Perspektive spricht klar dafür, EKT gegen den natürlichen Patientenwillen durchzuführen.“
Könnte es nicht sein, dass hier einer lukrativen Behandlungsmaßnahme der Weg geebnet werden solle? fragte ein Zuhörer. Das wiesen sowohl Zilles als auch Sartorius mit Verweis auf die Personalintensivität der Maßnahme zurück. Es sei eher ein Minusgeschäft. Jurand Daszkowski vom Hamburger Verband der Psychiatrie-Erfahrenen fragte nach sekundären Traumatisierungen und den Möglichkeiten, die Maßnahme hinterher nachzubearbeiten. Traumatisierungen sah Zilles nicht und verwies darauf, dass 80 Prozent im Nachhinein doch zugestimmt hätten.
„Ein Krebspatient darf ja auch Chemotherapie ablehnen.“
Über die rechtlichen Grundlagen sprach Annette Loer aus Hannover. Zwang berge immer die Gefahr eines Traumas, sei daher immer ultima Ratio. Auch irrationale Vorbehalte gegen EKT seien zu akzeptieren. „Ein Krebspatient darf ja auch Chemotherapie ablehnen.“ Festlegen kann man eine Ablehnung frühzeitig in einer Patientenverfügung, die allerdings immer noch selten verfasst werde. Ohne Patientenverfügung muss der Betreuer entscheiden. „Patientenautonomie endet nicht mit Einwilligungsfähigkeit“, machte Loer allerdings deutlich. Man müsse rausfinden, was der Patient wollen würde.
Gerade fünf Minuten blieben dann noch Prof. Alfred Simon vom Ethikkomitee der Universitätsmedizin Göttingen für eine ethische Einschätzung, der Pro (Auch Medikamente haben Nebenwirkungen, EKT oft schnellstwirkend und oft im Nachhinein doch Zustimmung) und Kontra (z.B. Vorbehalte, oft nicht alternativlos) abwog und letztlich keinen Grund für einen kategorischen Ausschluss von Zwangs-EKT sah. Dabei sprach er sich aber für ethische Fallbesprechungen und die Einbeziehung von Patientenvertretern sowie für die Bemühung um Zustimmung beim Patienten und eine Nachbesprechung aus.
EKT-Befürworter nicht immer auch Befürworter von Zwangs-EKT
Sind EKT-Befürworter immer auch Befürworter von Zwangs-EKT? Das dies nicht so ist, zeigte jüngst eine Pro- und Contra-Debatte im Fachblatt „Psychiatrische Praxis“. Dort sprach sich Prof. Dr. med. Here W. Folkerts, Chefarzt der Psychiatrie in Wilhelmshaven, wo jährlich ca. 100 Patienten mit EKT behandelt werden, gegen EKT gegen den ausdrücklich geäußerten Willen des Patienten aus, auch wenn man von Einwilligungsunfähigkeit im juristischen Sinne ausgehen könne. „Auch wir Psychiater müssen damit leben, dass Patienten sinnvolle Behandlungen – wie z. B. die EKT – ablehnen.“ Zudem sei die EKT meist auch nicht alternativlos. Und in den „sehr wenigen akut lebensbedrohlichen Situationen“ wie maligner Katatonie sei EKT mit einer Notfallindikation durchführbar, „so dass es sich zwar um eine Behandlung ohne, aber nicht gegen den Willen handelt.“ Anke Hinrichs
(Originalveröffentlichung: EPPENDORFER 12 & 12 2017)