Mit einem Messer ging ein mutmaßlich psychisch kranker Mann in einem Regionalzug bei Brokstedt auf Mitreisende los, tötete zwei und verletzte zahlreiche weitere Menschen. Als Folge beschloss der Kieler Landtag unter anderem, Gewaltpräventionsambulanzen einzurichten. Nun fand der Auftakt statt. Beteiligt sind die forensischen Ambulanzen in Kiel, Flensburg und Lübeck sowie zwei Beratungsvereine aus Schleswig und Elmshorn.
Auch mit dem neuen Angebot gebe es keine Garantie, dass sich Taten wie die bei Brokstedt verhindern ließen, sagte Otto Carstens, Staatssekretär am Justizministerium, das das Projekt im ersten Jahr mit 200.000 und für 2024 mit 400.000 Euro fördert. „Aber jeder Baustein, der hilft, dass Gewalt gar nicht erst entsteht, ist wertvoll.“
„Wer am meisten Hilfe bräuchte, erhält oft am wenigsten“
Im professionellen Hilfesystem tauchen immer wieder Menschen auf, die aggressives Verhalten zeigen, doch der Umgang mit ihnen fällt schwer. „Wer am meisten Hilfe bräuchte, erhält oft am wenigsten“, sagte Christian Huchzermeier, Direktor des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie (ISFP) am Zentrum für Integrative Psychiatrie des Uniklinikums Kiel, bei der Vorstellung des Projekts in Kiel. Es gelte, „Täterkarrieren zu vermeiden“, sagte Bernd Priebe von „Wendepunkte“. Der Verein betreut im Hamburger Randgebiet vor allem Jugendliche.
Viel Erfahrung mit Menschen in psychischen Ausnahme-Situationen haben auch die Ehrenamtlichen, die beim Schleswiger Verein „Krisendienst“ nachts und an Wochenenden am Notfalltelefon sitzen. Die Ehrenamtlichen werden nun geschult, um besser zum Thema Gewalt beraten zu können – auch jenseits von Krisenintervention, sagte Vereinssprecherin Inke Asmussen. Zum Team der künftigen Gewaltpräventionsambulanz gehören zudem die forensischen Ambulanzen in Kiel als Teil des ISFP sowie in Flensburg und Lübeck in Trägerschaft von Pro familia. Deren Landesgeschäftsführer Reiner Johannsen beschreibt die Aufgabe so: „Mit den Mitteln, die wir zurzeit haben, können wir nicht ständig Sozialarbeiter rausschicken, aber wir können eine Lotsenfunktion übernehmen.“
„Wir können eine Lotsenfunktion übernehmen”
Denn es gebe bereits zahlreiche Anlaufstellen und Hilfen im Land für Menschen in Notlagen, etwa den Verlust der Wohnung, Drogenkonsum, finanzielle Probleme oder einen ungeklärten Aufenthaltsstatus – alles Risikofaktoren, die am Ende zu Gewalttaten führen können, sagte Huchzermeier. Auch psychische Krankheiten könnten eine Rolle spielen – wobei generell psychisch Kranke nicht häufiger gewalttätig seien als der Schnitt der Gesellschaft, betonte der Psychiater.
Im Kern der Arbeit der neuen Gewaltpräventionsambulanzen stehen zunächst Vernetzung, Beratung von Einrichtungen und Schulung des dortigen Personals. Wenn die Kapazitäten reichten, könnten auch einzelne Betroffene betreut werden. Unklar ist bisher, wie Menschen ins Hilfesystem kommen, die jede Behandlung ablehnen oder wer zahlt, wenn ein Mensch im Asylverfahren eine langwierige Therapie braucht. Esther Geißlinger