Nach dem Drogen-Exzess bei einem Seminar mit 29 Heilpraktikern und Therapeuten in einer Tagungsstätte in Handeloh, Landkreis Harburg, wurden die Ermittlungen gegen die Teilnehmer eingestellt. Im Fokus der polizeilichen Nachforschungen standen zuletzt die zwei Seminarleiter nebst Helfern. Organisatoren waren offenbar der Psychologe Stefan S. und die Heilpraktikerin Anja W. aus Aachen. Das Paar soll Verbindungen zu dem Schweizer Psychiater und Psychotherapeuten Samuel Widmer haben. Dieser ist umstrittener Verfechter der so genannten Psycholytischen Psychotherapie, bei der nach Angaben ehemaliger Anhänger regelmäßig trotz Verbots illegale Drogen eingesetzt wurden.
HANDELOH (hin). Nach Darstellung der Reportagereihe #BECKMANN (ARD) sei Stefan S. vor rund zehn Jahren in der „Meisterausbildung“ von Samuel Widmer gewesen, und zwar gemeinsam mit dem Berliner Arzt und Psychotherapeuten Garri R. Dieser hatte 2009 bei einer Therapiesitzung in Berlin illegale Drogen in zu hoher Dosierung verabreicht. Zwei Teilnehmer starben.
Auch die Lebensgefährtin von Stefan S., die Heilpraktikerin Anja W., soll in der Vergangenheit aktiv im Rahmen von Kongressen mit Samuel Widmer in Erscheinung getreten sein. Wie #BECKMANN weiter berichtete, soll Stefan S. – den Widmer in seinem Buch „Bis dass der Tod uns scheidet – Psycholyse“ als seinen ,Nachfolger’ für die Ausbildung in Psycholytischer Psychotherapie in Deutschland bezeichnet habe – in der Vergangenheit mehrfach psycholytische Seminare in Aachen angeboten haben. Auch bei weiteren Teilnehmern der Tagung in Handeloh fand die Redaktion von #BECKMANN Verbindungen zu Samuel Widmer – in der Presse auch gern als „Sex-Guru“ tituliert – und dessen Umfeld der „Kirschblütengemeinschaft“. Diese wird von der Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche zumindest als „problematisch“ eingestuft, Kritiker sprechen von einer Art Sekte.
Gibt es ein Netzwerk von Therapeuten, Psychologen, Heilpraktikern und Ärzten, die Patienten in Deutschland illegale Substanzen verabreichen? fragte die Redaktion der ARD-Sendung, die im Frühjahr selbst in die Schweiz reiste und über Widmer berichtete. Dabei sprach dieser von „400 Leuten“, die er ausgebildet habe und die möglicherweise nach seinen Methoden auch in Deutschland Patienten therapieren und wiederum weitere Therapeuten, Heilpraktiker und Ärzte in Psycholytischer Psychotherapie ausbilden würden.
In der Schweiz gab es von 1988 bis 1993 eine Ausnahmegenehmigung für Psycholytische Therapie mit LSD und MDMA. Seit 1993 sind nur noch Ketamin-haltige Substanzen und Ephedrin erlaubt. Ehemalige Kursteilnehmer erklärten jedoch übereinstimmend, bei Widmer-Seminaren seien trotzdem LSD, Ecstasy und andere illegale Drogen angewendet worden.
Die Psycholytische Therapie selbst ist in Deutschland nicht verboten, wohl aber der Einsatz bzw. die Abgabe illegaler Drogen in dem Zusammenhang. Auf diese hatten die Teilnehmer in Handeloh mit teils lebensbedrohlichen Symptomen reagiert, die von Wahnvorstellungen bis zu Luftnot und Herzrasen reichten und einen Großeinsatz von fast 200 Einsatzkräften auslösten. In sichergestellten Kapseln wurde das seit Ende vorigen Jahres verbotene Psychedelikum Aquarust (2C-E) nachgewiesen. Originalveröffentlichung: Eppendorfer 10/2015