Idee aus England:
Soziales auf Rezept

Auch die Vermittlung an Laufgruppen kann unter Umständen als Soziales Rezept "verschrieben" werden. Symbolfoto: unsplash

Normalerweise führt ein Rezept in die Apotheke oder zu einer Therapie. Doch das Soziale Rezept (engl. Social Prescribing) geht neue Wege: Entwickelt in England, soll dieses Konzept Patient:innen helfen, Anschluss an soziale Angebote und Aktivitäten zu finden, um so Einsamkeit zu reduzieren. Unter Federführung der Charité – Universitätsmedizin Berlin werden in den kommenden fünf Jahren 22 europäische Gesundheits- und Forschungseinrichtungen die Effekte des Sozialen Rezepts insbesondere bei benachteiligten Personengruppen untersuchen. Die Europäische Kommission unterstützt das Vorhaben mit rund 6,9 Millionen Euro.


Soziale Faktoren können krank machen

Stress durch Einsamkeit, finanzielle Sorgen oder Arbeitsprobleme beeinflusst die Gesundheit erheblich. Das Soziale Rezept funktioniert so: Hausärzt:innen überweisen Patient:innen an geschulte Fachkräfte, sogenannte Link Worker. Diese lernen die Patient:innen in Gesprächen kennen und vermitteln sie gezielt an Gruppen, Kurse oder soziale Dienstleistungen. Zum Beispiel an Kunstkurse oder Laufgruppen gegen Einsamkeit, Schuldnerberatung für Menschen mit finanziellen Problemen.



EU-geförderte Forschung zu den Effekten


„Das Soziale Rezept ist ein innovatives Konzept, um Menschen mit sozialen Problemen aus der hausärztlichen Versorgung an Angebote vor Ort zu vermitteln“, erklärt Prof. Wolfram Herrmann, Leiter des europäischen Social-Prescribing-Projektes. „Bisher war dieser Ansatz nicht speziell auf die Bedürfnisse besonders gefährdeter Personengruppen zugeschnitten. Wir konzentrieren uns daher insbesondere auf ältere alleinlebende Menschen, LGBTIQ-Personen sowie Geflüchtete und Einwander:innen in erster Generation, um die Wirksamkeit des Ansatzes zu prüfen.“


Erste Anwendungen in Deutschland


Obwohl das Soziale Rezept in England bereits weit verbreitet ist – hier gibt es bereits 3500 link workers – steckt es in Deutschland noch in den Anfängen. Ein Modellprojekt unter Leitung der Charité testete den Ansatz bereits in ersten Hausarztpraxen. Ein Beispiel ist das MVZ Zerbaum und Kollegen in Brandenburg an der Havel. „Wir arbeiten hier an der Basis, wobei wir immer wieder Menschen antreffen, für die eine soziale Diagnose zutrifft“, sagt Dr. Benjamin Senst. „Die Menschen kommen mit körperlichen Beschwerden zu uns, die Ursachen sind aber häufig mit Wohnungsproblemen, finanziellen Sorgen, Schwierigkeiten bei der Arbeit, in der Beziehung oder mit Alkoholmissbrauch verbunden.“


Einmal wöchentlich besucht eine Link Workerin des Modellprojektes die Praxis Zerbaum, vermittelt gezielt an Beratungsstellen, soziale Hilfsangebote, Vereine, Entzugsbehandlungen. „Es gibt sehr viele Hilfsangebote, die oft nicht bekannt sind, oder zu denen die Menschen allein den Zugang nicht finden“, sagt Dr. Senst. „Wir können nicht allen weiterhelfen. Bei Menschen, die jahrelang nicht am gesellschaftlichen Leben teilhatten, ist es besonders schwer. Wir haben aber auch Erfolge, beispielsweise konnte ein Patient mit schwerem Belastungssyndrom in einen Stressbewältigungskurs seiner Krankenkasse vermittelt werden. Heute ist er gesund und wieder in Vollzeit tätig.“