Die Internatsschule im Kloster Ettal, das Berliner Canisius-Kolleg, die Regensburger Domspatzen … 2010 hatte das Aufdecken von Missbrauchsskandalen die Öffentlichkeit schockiert. Seitdem ist einiges passiert: Die katholische Kirche hat Leitlinien zum Umgang mit dem Missbrauch verabschiedet. In den Bistümern gibt es Präventions- und Missbrauchsbeauftragte, Fortbildungen wurden eingeführt. Doch reichen diese Maßnahmen, um Missbrauch in Zukunft zu verhindern? Anlass für die „ZDFzoom”-Dokumentation „Abschottung oder Aufbruch? Die katholische Kirche und die Missbrauchskrise“, der noch bis Februar 2020 in der ZDF-Mediathek zu sehen ist, war das Gipfel-Treffen führender Bischöfe beim Papst zum Thema Missbrauch vom 21. bis 24. Februar 2019 in Rom.
Ebenfalls in diesen Wochen vor Gericht verhandelt wird ein französischer Missbrauchsskandal, auf dem der mit dem Großen Preis der diesjährigen Berlinale-Jury prämierte Film von François Ozon „Grace á Dieu“ („Gelobt sei Gott“) basiert: Er handelt von einem Priester der Diözese in Lyon, der in den 1980er-Jahren Dutzende Kinder missbraucht haben soll, aber bislang nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Darauf weist der Film am Ende auch selbst hin – Deshalb darf er jetzt auch in Frankreich anlaufen. Anwälte hatten versucht, dies zu verhindern.
Studie geht von Tausenden von Opfern aus
Eine von der Kirche beauftragte Untersuchung hat 2018 Tausende Opfer sexuellen Missbrauchs durch Geistliche festgestellt. Die Forscher sprachen von „der Spitze des Eisbergs” – und die Studie löste Bestürzung aus, so die ZDF-Pressestelle. Die Wissenschaftler erkannten Strukturen innerhalb der Kirche, die diesen Missbrauch begünstigen: den Missbrauch klerikaler Macht, eine problematische Sexualmoral sowie den Umgang mit dem Zölibat.
Bringt die Studie die Kehrtwende? Einer der Protagonisten von „ZDF Zoom“ – für die Sendung wurden Missbrauchsopfer und Experten, Kirchenvertreter und Bischöfe befragt – ist der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller. Er hat Täter und Opfer betreut und fordert Reformen in Sachen Zölibat, Homosexualität und Priesteramt. Auch die Masse der Katholiken fordert mehr Veränderung. Die Kirche tue nicht genug, um den Missbrauch aufzuarbeiten: Dieser Meinung sind 79 Prozent der Katholiken, ergab eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen Ende Januar 2019 im Auftrag von „ZDFzoom“.
François Ozon sprach selbst mit Betroffenen
François Ozon fand seinen Stoff über die Webseite einer Vereinigung namens „La Parole Libérée“ („Die Last des Schweigens brechen“). Dort werden Zeugenaussagen, Briefe und Emails von Missbrauchsopfern gesammelt, die auch die Untätigkeit und das Vertuschen seitens der Kirchenhierarchie dokumentieren. Ozon sprach selbst mit Betroffenen. Deren Namen wurden im Film verändert, die der mutmaßlichen Täter nicht.
Wie die Deutsche Welle (DW) auf ihrer Homepage weiter berichtete, sind mehrere katholische Würdenträger und Kirchen-Mitarbeiter angeklagt, die den Missbrauch durch den Priester jahrelang vertuscht haben sollen. Mindestens 70 Kinder und Jugendliche, meist Jungen, soll Preynat zwischen 1986 und 1991 sexuell missbraucht haben. Vor Gericht muss sich jedoch zunächst der Erzbischof von Lyon, Kardinal Philippe Barbarin, wegen „Nichtanzeige“ und unterlassener Hilfeleistung verantworten. Auch sechs Mitarbeiter der Diözese sitzen auf der Anklagebank. Das Urteil soll laut DW am 7. März 2019 gefällt werden. In einem separaten Gerichtsverfahren werde auch der beschuldigte Priester Bernhard Preynat noch vor Gericht gestellt werden. Ein Termin dafür stehe bislang nicht fest.
„Abschottung oder Aufbruch? Die katholische Kirche und die Missbrauchskrise”, bis 20.2. 2020 in der Mediathek.
(rd)