NRW: „Bis zu 300
EX-INler in Arbeit”

EX-IN ist in Nordrhein-Westfalen angekommen – das bewies im Herbst 2018 eine trialogische Fachtagung im Wissenschaftspark in Gelsenkirchen, zu der der EX-IN NRW e.V. eingeladen hatte. Die Abkürzung EX-IN steht für den englischen Begriff „Experienced Involvement” und bedeutet übersetzt „die Beteiligung Erfahrener”. Der Verein, in dem 70 Personen – hauptsächlich Genesungsbegleiter – organisiert sind, macht seit seiner Gründung 2012 zusammen mit LebensART, dem Veranstalter von EX-IN-Kursen, Vernetzungsarbeit. Offenbar mit Erfolg: Rund 450 Personen sind in NRW als Genesungsbegleiter ausgebildet. 250 bis 300 davon arbeiten laut Aussage der EX-IN NRW-Vorsitzenden Gudrun Tönnes als EX-INler. Anbei der vollständige Tagungsbericht von Gudrun Tönnes selbst. 

„Das verwegene Motto ,Die Zukunft hat schon begonnen’ der trialogischen Fachtagung im Wissenschaftspark in Gelsenkirchen erwies sich nur teilweise als Ausdruck einer Vision. Vielmehr wurde deutlich, dass sie bereits zu einem großen Teil Realität in NRW ist. Eingeladen hatte der EX-IN NRW e.V., der seit seiner Gründung 2012 zusammen mit dem Veranstalter von EX-IN Kursen, LebensART, Vernetzungsarbeit macht und in dem 70 Personen – hauptsächlich Genesungsbegleiter (im Folgenden „GBs“ genannt) – organisiert sind.

Insgesamt 40 Akteure und Teams aus ambulanten und stationären Settings zeigten in Gelsenkirchen, wie sie zum Teil schon seit Jahren mit GBs zusammenarbeiten. Beispielsweise im Qualitätsmanagement, in Gruppenangeboten, konzeptionell und in Gremien. Auch Rezepte zur Implementierung von EX-INlern am Beispiel der Alexius Klinik in Neuss wurden deutlich und wie EX-IN Veranstalter (z. B. LebensART) sich entwickeln. Zu Gast im Wissenschaftspark waren 180 Personen, die Hälfte Fachkräfte, einige Angehörige, die als Attraktion die Autorin Janine Berg Peer erleben durften, und EX-IN Genesungsbegleiter – zum Teil noch in Ausbildung.

Eine bunte Mischung von Arbeitsbereichen 

Die Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten für GBs wurde in den Symposien sichtbar. „Allein unter Sozialarbeitern“ fühlt sich Udo Höppner aufgrund seiner vielfältigen Aufgaben als GB inzwischen nicht mehr. Sandra Lang, die beim PTV Solingen Fuß gefasst hat, für die GBs im Praktikum zuständig ist und selbst als GB im Wohnheim tätig ist, berichtete begeistert von ihren Erfahrungen. Auf sehr einfühlsame Art erzählte Pascale Schanck, die mit Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung arbeitet, von ihrem Alltag. Von Bethel.regional bis zur Bergischen Diakonie, die mit einem Team aus drei Fachkräften und drei GBs anreiste, von denen einer bereits seit 2010 dort mitarbeitet, waren viele Dienste vertreten. Der Vortrag von Dieter Schax – Rehaverein Mönchengladbach und Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland e.V. (AGpR), handelte davon, dass ExpertInnen aus Erfahrung unentbehrlich sind und EX-INler maßgeblich daran beteiligt sind, dass Betroffene ihr Recht auf Teilhabe wahrnehmen können.

Aus der Uniklinik Köln präsentierten zwei Fachpersonen und Sabine Grode Gruppenarbeiten mit dem Gezeitenmodell. Ein Höhepunkt war der Vortrag des Teams Alexa Nossek und Anna Werning (EX-IN Expertin, LWL-Klinik, Ruhr-Uni Bochum), das zwei Jahre lang die Implementation von GBs in verschiedene LWL-Kliniken wissenschaftlich begleitet hat. EX-INler können mehr als ihre Psychiatrieerfahrung gewinnbringend für Klienten, Patienten und Fachkräfte einbringen. Das zeigte eindrücklich Lina Reitemeier, die gemeinsam mit Gudrun Tönnes durch das Programm führte und mit ihrem Gesang das Programm auflockerte.
                          

 EX-IN Wurzeln in NRW

2009 fand im BTZ Köln die erste Infoveranstaltung statt. Rund 150 Interessierte waren dem Ruf der Arbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie Rheinland nach Köln gefolgt um sich über den ersten EX-IN Kurs in NRW zu informieren. LebensART gestaltete im Auftrag des Trägerverbands AGpR die ersten drei Kurse in Köln, die AGpR half als Veranstalter bei der Verbreitung von EX-IN. Die Mitglieder stellten Praktikumsplätze zur Verfügung, es entstanden schnell erste Arbeitsverhältnisse, die zum Teil noch heute bestehen.

Auf Einladung des LWL PsychiatrieVerbundes, LebensART und der EX-IN Initiative NRW fanden sich Anfang 2010 rund 130 Teilnehmende zu einer Tagung im LWL Landeshaus in Münster ein. Dort waren dann die ersten Akteure aus Hamburg und Bremen für den Blick über den Tellerrand zu Gast. Viel Skepsis herrschte damals noch bei potentiellen Arbeitgebern, verhalten war die Hoffnung der angehenden GBs auf eine berufliche Perspektive. Selbst aus Bremen oder Hamburg gab es nur vereinzelte Beispiele von Arbeitsverhältnissen.

Aus Erfahrung gut

Konkreter wurde es dann 2011 auf der Tagung des Landschaftsverbandes Rheinland, die unter dem Titel „Aus Erfahrung Gut“ gemeinsam mit der AGpR und den Teilnehmern aus dem ersten Kölner Kurs die Mitarbeiter des Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) über die „Neuen“ im System unterrichtete.
Es entstanden auch Arbeitsverbindungen, die bis heute bestehen. Die EX-INlerin Bettina Jahnke lernte dort ihren Chef Stefan Corda Zitzen von der Psychiatrischen Hilfegemeinschaft (PHG) Viersen e.V. kennen. Später nutzte sie ihre und die Erfahrungen ihrer KurskollegInnen des ersten Kölner EX-IN Kurses für das Buch „Vom Ich-Wissen zum Wir-Wissen, mit EX-IN zum Genesungsbegleiter“. Die ersten GBs in NRW waren anders als in Hamburg zunächst in ambulanten Bereichen beschäftigt. Der Durchbruch für die Mitarbeit in Kliniken kam 2013 mit der Fachtagung „Trialog im Pott“. LebensART plante in Kooperation mit der LWL Klinik in Bochum einen Kurs. Professor Juckel, der ärztliche Direktor, lud Thomas Bock ein und das übrige Programm wurde hauptsächlich von GBs gestaltet. Der Saal, der 120 Personen fasst, platzte aus allen Nähten.

So auch 2017, als vom LWL PsychiatrieVerbund Westfalen das Genesungsbegleiterprojekt vorgestellt wurde – Resultat aus einer Zusammenarbeit des Arbeitskreises Trialog konkret (LWL) und dem wachsenden Mut der GBs sich in Kliniken zu bewerben und dort eine Perspektive zu wagen. „Erfahrungen von und mit Erfahrungsexperten – Wissenschaft und Praxis“ war die Überschrift. Angelika Lacroix und Gisbert Eikmeier aus dem Klinikum Bremerhaven lieferten den Blick über den Tellerrand. In Gelsenkirchen war es ein Teller mit ausgewogener EX-IN Kost. Die Vielfalt und die gute Stimmung beeindruckten auch EX-IN Landessprecherin Gabriele Pertus aus Mecklenburg-Vorpommern, wie sie später auf dem Abschlusspodium betonte.

             EX-IN Kultur des Miteinander Gestaltens

Es ging in Gelsenkirchen um mehr als um die Vorstellung von Arbeitsbereichen, Teams und Projekten. Trialog, offener Erfahrungsaustausch, Vernetzung und Pioniergeist, aufrichtige Begegnung, emotionale Offenheit und Berührbarkeit waren Themen, die gelebt wurden. Dass das Thema durch Experten aus Erfahrung als Einladende an einen Ort wie den Wissenschaftspark geholt wurde, sprach für sich. Dass die ExpertInnen aus Erfahrung nicht unter sich blieben und der Zustrom von professionell Tätigen, Interessierten, Arbeitgebern groß war, zeigte die gelungene Verankerung in der Zusammenarbeit in NRW. Es sollte eine Veranstaltung für ALLE EX-IN Standorte und Veranstalter in NRW werden. Es waren alle eingeladen sich zu beteiligen. Warum dies nicht gelang, das zeigt eine andere Seite der EX-IN Bewegung.

Für den EX-IN NRW e.V., LebensART und die Kooperationspartner gilt:  Ja – „Die Zukunft hat schon begonnen“ – das hat die Tagung unter der Schirmherrschaft von Maria Klein-Schmeink (MdB, Sprecherin für Gesundheitspolitik, Mitglied des Gesundheitsausschusses Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen) eindrücklich gezeigt. Der offene Umgang der GBs mit der eigenen Erkrankung, das Wissen aus ihrer Ausbildung und letztlich ihre Bereitschaft das daraus resultierende Wissen anderen zur Verfügung zu stellen, ist ein Zugewinn für Betroffene, Betriebe und die Gesellschaft im Ganzen.

         EX-IN NRW e.V. und LebensART

In NRW gibt es den Veranstalter LebensART, geleitet von Gudrun Tönnes, Ergotherapeutin, die ihre Psychiatrieerfahrung bereits seit 1998 in der Arbeit offen machte und Trainerin der ersten Stunde ist. Mit der AGpR startete sie 2010 EX-IN in Köln als ersten Standort in NRW und gibt in Münster seit 2011 EX-IN-Kurse. 2013 ließ LebensART als erster Veranstalter bundesweit EX-IN als Maßnahme nach AZAV zertifizieren. Seitdem können die Teilnehmenden die Ausbildung über den Bildungsgutschein von Jobcentern und Arbeitsagenturen finanzieren. Danach übernahm LebensART die Veranstalterrolle in Köln. Seit 2013 bildet LebensART auch eigene Trainer aus um zuverlässig und kontinuierlich Kurse an den drei Standorten Köln, Münster und Essen anbieten zu können.

2012 gründete Tönnes, aus der Vorstandsarbeit bei EX-IN Deutschland heraus, den EX-IN NRW e.V., der seit der Gründung wichtige Vernetzungs- und Lobbyarbeit macht. Der Verein gestaltete inzwischen zwei Broschüren: „Empowerment durch EX-IN“ und „Genesungsbegleitung das Extra für Sie“. Beide kann man über den Verein gegen eine geringe Bearbeitungsgebühr anfordern; sie dienen dazu das Berufsbild des GB bekannt zu machen. Weitere Anbieter für EX-IN Kurse gibt es in Bielefeld, Siegburg, Siegen und Neuss. Dort wurde 2017 ein „Landesverband“ unter dem Dach von EX-IN Deutschland gegründet.

Ausblick

Eine Fortsetzung der Tagung in einem zweitägigen Format ist am gleichen Ort geplant und wird voraussichtlich im Frühjahr 2020 stattfinden. Was bleibt, sind die offenen Fragen nach der Berufsanerkennung und der tariflichen Eingruppierung von GBs. EX-IN ,mit einer Stimme’ zu vertreten wäre wichtig. Der bundesweite Dachverband hat allerdings zu früh angefangen nicht konforme Veranstalter und Trainer, die als Multiplikatoren dienlich waren, auszugrenzen. Ob man wieder zueinander findet wird die Zukunft zeigen. Informationen über den EX-IN NRW e.V. sind auf der Homepage www.ex-in.nrw zu finden, Informationen zu den EX-IN Kursen bei LebensART unter: www.ex-in-lebensart.de.”

Gudrun Tönnes