Aus dem Leben eines Hamburger Kult- und Ausnahmekünstlers: Heino Jaeger war provokant, skurril und an Widersprüchen und Überraschungen reich. „Gelebte Anarchie“ wurde ihm zugeschrieben. Er war ein Mensch, der andere tagelang zum Lachen brachte, bis der Bauch schmerzte, wie es ein Anhänger vor der Kamera beschreibt. Ein genialer Clown, voll innerer Konflikte, dessen Leben tragisch früh endete. 1983 lässt sich Heino Jaeger nach Bränden und Wohnungsverlust in ein sozialpsychiatrisches Heim einweisen, das „Haus Ingrid“ in Bad Oldesloe, wo er 1997 „in schizoider Dämmerung verstirbt“, wie es die Filmbewertungsstelle in ihrer Begründung für das Prädikat „Besonders wertvoll“ für den Dokumentarfilm „Heino Jaeger – look before you kuck“ von Gerd Kroske schreibt.
Kroske setzte mit dem 2012 erschienenen Film seine Porträtserie mit prominenten Hamburger Persönlichkeiten fort, die er mit „Boxprinz“ und „Wollis Paradies“ begann. Über den einstigen Kiezkönig „Wolli Köhler“ wurde er auf Heino Jaeger aufmerksam, der sich zeitweise über Wasser hielt, indem er Bilder auf St. Pauli gegen wenig Geld oder auch Wodka eintauschte. Da es wenig Filmaufnahmen von Jaeger selbst gibt, nähert sich Kroske dem tragischen Helden v.a. über Erzählungen von Freunden und Wegbegleitern sowie zwei Verwandten. Das alles in 120 wertvollen Minuten, denen ein paar mehr Schnitte der Kürzung zuliebe dennoch gut getan hätten.
Geboren wurde Jaeger 1938 in Hamburg-Harburg. Der Vater war Nazi und Pressefotograf. Nach Ausbombung in Dresden und Flucht kehrt die Familie zurück nach Hamburg. Vater Hein soll sich später nach Depressionen und Alkoholproblemen das Leben genommen haben. Heino Jaeger wird Anstreicher, landet dann durch eine zufällige Begegnung in der Hochschule für Bildende Künste. Arbeitet später u.a. als Briefträger, Backgehilfe, Textilentwerfer und Scherbenzeichner für Museen. Letzteres führt ihn nach Schleswig, wo er am Bahnhof den Volkskundler Joska Pintschovius kennen lernt, ebenfalls im Arbeitsexil, der Jaegers bester Freund und zum Schluss auch Vormund wird und 2005 ein Buch über Leben und Werk des Freundes herausgab.
Jaeger wird als schüchterner, leiser Mensch beschrieben, als „manischer Zeichner“, der wahnsinnig komisch sein konnte, wenn er Menschen beobachtete, um dann aus dem Stegreif plötzlich haargenau so zu sprechen wie sie. Er und Pintschovius wurden Teil eines kleinen Freundeskreises, einer verschworenen Gemeinschaft „Anti-68er“. Ideologien, auch die der 68er, lehnten sie ab, litten am kulturzerstörerischen Fortschrittsglauben des Wirtschaftswunders, daran, was den Abrissbirnen zum Opfer fiel, um Platz für neudeutsche Bauten zu schaffen. Es wurden viele Reisen unternommen, nach Prag, Paris, London z.B.. Jaeger liebte v.a. Ruinen und Abbruchviertel, die er in Bildern und Zeichnungen verewigte. Er liebt auch Grenzanlagen, alte Züge und Häuser und morbides und skurriles jeglicher Art, kopiert aber auch begeistert Vorlagen. Plant sogar mal, ein Geschäft mit Zinnsoldaten zu eröffnen.
In Hamburg lebte er in einer als chaotisch und heruntergekommen beschriebenen Souterrainwohnung mit Schimmel an den Wänden, wo sich schon mal Speck an den Schreibtisch genagelt fand. Eine Frau gab es auch in seinem Leben, die im Film nicht vorkommt, aber im Buch von Pintschovius. Mit Hilka Franck aus dem Umkreis der Kunstschule ging er in den Sechzigern eine längere, von Krisen und auch seinen schon damals auftretenden Depressionen überschattete Verbindung ein.
Jaegers größte Erfolge fallen in die Zeit, als Jürgen von Tomei, Karikaturist und Illustrator, für Jaeger Verbindungen knüpfte, Ausstellungen und Auftritte folgen. Jaeger wird zu einer Kultfigur der 70er Jahre. Als Hitler-Parodist steht er u.a. mit Hanns Dieter Hüsch auf der Bühne, Radioauftritte im WDR folgen, Monologe, Schallplatten, schließlich die legendäre Sendung „Fragen Sie Dr. Jaeger“ im Saarländischen Rundfunk – eine absurde Lebensberatungsparodie, in der Jaeger alle Rollen selbst spricht. Die Sendung versandet, als Jaeger, der Trinker, immer unzuverlässiger wird. Eines Tages wird er nach einem Vorfall mit der Nachbarschaft in die geschlossene Abteilung in Ochsenzoll eingewiesen. Später landet er nach einem Wohnungsbrand wieder dort, er war mit einer Zigarette eingeschlafen.
Was genau mit ihm los war, erfuhr auch Gerd Kroske nicht. Die Einsicht in die Ochsenzoller Patientenakte wurde ihm aus rechtlichen Gründen verwehrt. Überliefert ist eine Intervention des Schriftstellers Hubert Fichte. In einem zweiseitigen Brief an die Klinik legte er die Bedeutung Jaegers als Kabarettist und Maler dar und warnte dringend davor, den Künstler mit persönlichkeitsverändernden Psychopharmaka zu behandeln. Das Problem: Jaeger verlangte ausdrücklich nach Pillen, wie Joska Pintschovius schreibt. „Die Psychiatrie bedeutet ihm keinen Schrecken, zum einen sah er sich vor privatrechtlichen und behördlichen Nachstellungen beschützt, zum anderen trachtete er danach, kostengünstig an Pillen zu kommen, möglichst von der Sorte ,sorgenfrei’ und .happy’…“
Für den Film befragen lässt sich der ehemalige Ochsenzoller Stationsarzt Dr. Volker Zentner, der Jaeger nach dessen Entlassung privat die Türe öffnete und Kontakt hielt. Wobei: Es sei schwierig gewesen, mit ihm in persönlichen Kontakt zu kommen, so Zentner. Jaeger schien in seiner eigenen Welt zu leben, zu der auch Verschwörungstheorien zählten. Überliefert aus der Zeit vor dem Wohnungsbrand: Vorübergehend wohnte Jaeger zur Überraschung von Pintschovius in einer aufgeräumten geputzten Wohnung, der sozialpsychiatrische Dienst hatte sich seiner angenommen und übernahm auch die Telefonkosten. Verhängnisvoll. „Denn Jaeger pflegte seine sozialen Kontakte mit der PR-Abteilung der NASA in Cape Canaveral. In stundenlangen Telefonaten erörterte er Fragen der Weltraumerkundung. Darüberhinaus versuchte er hartnäckig und daher kostspielig, Henry Kissinger zu kontaktieren.“ Was tief in ihm gebrannt haben mag, darauf weist vielleicht auch ein LSD-Tripp des Künstlers, von dem im Film eine Mitarbeiterin des einstigen Kiez-Erotik-Theaters Salambo berichtet, in dessen Umfeld sich der Künstler phasenweise aufhielt. Unter Droge sah Jaeger überall Feuer, versuchte fortwährend, mit Wasser zu löschen, was nicht brannte, was zu Überschwemmungen führte. Anke Hinrichs
„Heino Jaeger – look before you kuck“ (http://www.heino-jaeger-film.de/home.html), s.a. Joska Pintschovius: „Heino Jaeger – Man glaubt es nicht“, Zürich, Kein & Aber 2005, ISBN 3-0369-5140-7, dort auch mehrere Heino-Jäger-CD’s erhältlich.
(Originalveröffentlichung: Oktober 2012 im EPPENDORFER)