Heinz Strunk übersetzt das Werk Thomas Manns in moderne Psychosomatik – und landet im Sumpfgebiet menschlicher Unzulänglichkeiten, meint unsere Rezensentin Dr. Verena Liebers.
Ein erfolgreicher Start up-Unternehmer leidet an Depressionen. Geld ist da, das Glück nicht. Mit diesem Plot hat der Autor Heinz Strunk (=Mathias Halfpape) ein Thema des gut genährten Bürgertums aufgegriffen. Sind wir in der Lage, Sinn und Struktur in unserem Leben zu finden, wenn wir dem schnöden Kampf ums Überleben enthoben sind? Was bedeutet Krankheit, wenn körperlich scheinbar alles in Ordnung ist?
Strunks Protagonist, der junge Unternehmer Jonas Heidbrink, begibt sich in eine psychosomatische Klinik im Sumpfgebiet Mecklenburg-Vorpommerns, obwohl er bezweifelt, dass ihm dort geholfen wird. Er nimmt nicht einmal an, ernsthaft krank zu sein und irgendetwas mit den anderen Patienten gemeinsam zu haben, was sein Einsamkeitsgefühl zunächst verstärkt.
Der Erzähler ist nahe an der Figur des Jonas Heidbrink und schildert alle Begegnungen mit distanziert ironischem Blick. Da gibt es eine Frau, die „so mager ist wie ihr eigenes Röntgenfoto“, jemand hat einen Körper „wie eine Kirchenglocke“, ist „triefäugig“ oder trägt „eine Retrobrille wie Eisschollen“. Heidbrink liegt im Bett „wie vom Bestatter hergerichtet“, sodass schon in diesem Sprachbild deutlich wird, es geht hier um die Grenze zwischen Tod und Leben. Die regelhaft in der Klinik gemessenen Vitalwerte sagen nichts darüber aus, ob sich der Mensch tatsächlich lebendig fühlt. Trotz seiner Skepsis begibt sich Heidbrink zu allen Therapieangeboten, von Musiktherapie bis hin zu Muskelentspannung und Tanz. Im Verlauf seines Aufenthalts in der sumpfigen Einsamkeit, wo schon der Fensterputzer eine Abwechslung darstellt, sinkt Heidbrink zunehmend in die Welt der Klinik ein, die fern des Alltags ihre eigenen Regeln hat und ihn immerhin mit gutem Essen verwöhnt.
Der Tod ist stets gegenwärtig
Heidbrink entwickelt Gefühle und Freundschaften, aber als er seinem alkoholkranken Klinikfreund eine letzte Ehre erweisen will, wird er fortgeschickt, da ihre Beziehung keinen offiziellen Rahmen hat. Gefühle also als flüchtige Erscheinung, die sich nicht greifen lässt, der Tod stets gegenwärtig.
Folgerichtig endet der Roman nicht nur mit dem finanziellen Niedergang der Klinik, sondern auch mit dem angedeuteten Suizid von Jonas Heidbrink. Jenseits der Klinik hat er keinen Halt im Leben gefunden, und sein unbestimmter Weg in Watt und Wasser lässt wenig Hoffnung, dass er da wieder herausfindet. Der Klinikaufenthalt ist also nur eine zeitlich begrenzte Flucht aus dem Alltag, in den er nicht wirklich zurückfindet.
Dieses Ende ist natürlich auch eine der vielen Analogien zu Thomas Manns Zauberberg, dessen Protagonist Hans Castorp am Ende vermutlich in den Wirren des Weltkriegs untergeht. Viele Episoden aus Manns 1000-seitigem Werk hat Strunk ganz konkret zum Vorbild genommen und quasi in die moderne Psychosomatik übersetzt. Dabei ist allerdings kein zweiter Zauberberg entstanden, sondern eher ein Sumpfgebiet menschlicher Unzulänglichkeiten. Gemeinsam ist den Büchern, dass die Erzähler die Klinik-Welt verwenden, um das bürgerliche Leben zu spiegeln und zu karikieren. „Man ändert hier seine Begriffe“, hieß es bei Thomas Mann. „Drei Wochen sind wie ein Tag.“ Diesen veränderten Zeitbegriff ahnt jeder schon in kurzen Urlaubswochen, eine Krankenhauswelt ist noch auf ganz andere Weise vom Alltag entkoppelt und konfrontiert mit vielen Ängsten.
Strunks Stil ist dabei knapp, düsterkomisch und bilderreich. Allerdings bemüht er das Wörtchen „wie“ derartig oft, als gäbe es gar keine Situation an sich, sondern eben immer nur Vergleiche. Thomas Manns Figuren treten dagegen plastisch aus dem Geschehen heraus, ohne dass ständige Bild-Vergleiche notwendig wären.
„Strunks Spott ist eher Stilmittel als konkrete Kritik an psychosomatischen Kliniken”
Thomas Manns Zauberberg stieß zu seiner Zeit vielfach auf Kritik, gerade von der Ärzteschaft, teilweise wurde den Kranken die Lektüre sogar untersagt. Solche Reglementierungen sind für das Buch von Heinz Strunk sicher nicht notwendig, die Szenarien in psychosomatischen Kliniken sind unterdessen längst von etlichen Schreibenden aufgegriffen worden, und Strunks Spott ist eher Stilmittel als konkrete Kritik an psychosomatischen Kliniken. Wer die entrückte Welt eines berührenden Zauberbergs sucht, sollte aber doch lieber bei Thomas Mann nachlesen. Verena Liebers
Heinz Strunk: „Zauberberg 2“, Rowohlt Verlag 2024, 288 Seiten,
25 Euro.