Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer hat heute gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Praxis den Landespsychiatrieplan vorgestellt. Ziel ist eine Neuausrichtung und dauerhafte Verbesserung der Versorgung von psychisch schwer erkrankten Menschen. „Patientinnen und Patienten mit komplexen Problemlagen sollen dabei niedrigschwellig, bedarfsorientiert und wohnortnah versorgt werden. Dafür werden unter anderem sieben Gemeindepsychiatrische Verbünde (GPV) geschaffen. Präventionsarbeit soll forensische Verläufe vermeiden und in der Folge schwere Straftaten verhindern. Hierzu ist unter anderem die Einrichtung einer Fachstelle zur Verhinderung von forensischen Krankheitsverläufen vorgesehen”, heißt es in der Pressemitteilung, die wir im weiteren unten komplett abdrucken. Für die Umsetzung werden jährlich „rd. 7 Millionen Euro” eingeplant.
„Menschen, insbesondere mit schweren psychischen Erkrankungen, stoßen in den bestehenden komplexen Versorgungssystemen immer wieder an Grenzen und Überforderung. Sie haben einen komplexen Hilfebedarf und sind zum Teil nicht in der Lage, sich selbst psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung beziehungsweise sozialpsychiatrische Unterstützung zum Beispiel im Rahmen einer Eingliederungshilfe zu organisieren. Über die bestehenden Strukturen in der Regelversorgungssysteme werden diese Personen oft nicht ausreichend oder gar nicht mehr erreicht. Folge ist nicht selten ein unfreiwilliger und kostenintensiver Klinikaufenthalt. Deutlich wird dies unter anderem an stetig steigenden Zahlen der Unterbringungen nach dem Hamburgischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) und steigenden Zahlen auch im Bereich der Forensik, wenn schwere psychische Krankheiten zu Straftaten führen.
„Schaffung Gemeindepsychiatrischer Verbünde
Mit dem im Psychiatrieplan formulierten Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass insbesondere schwer psychisch erkrankte Patientinnen und Patienten bedarfsgerecht, niedrigschwellig und wohnortnah erreicht werden. Die für die Betroffenen relevanten Versorgungssysteme – vom Gesundheitswesen/GKV und Suchthilfe über Pflege, Eingliederungshilfe, Jugendhilfe bis zur Wohnungslosenhilfe – werden dabei eng verzahnt und arbeiten verbindlich zusammen. Zentraler Bestandteil des Psychiatrieplans ist hierfür der regionale Aufbau sieben Gemeindepsychiatrischer Verbünde (GPV) in den Grenzen der Hamburger Bezirke. Darin schließen sich die wesentlichen Leistungserbringer zur Versorgung psychisch erkrankter Menschen zusammen, damit gerade schwer erkrankte Patientinnen und Patienten dauerhaft und verbindlich erreicht werden, niemand durchs Raster fällt und sogenannte Drehtüreffekte minimiert werden. Im Zentrum stehen dabei die bedarfsorientierte und gleichzeitig effektive und effiziente Abstimmung von Leistungsansprüchen und Angeboten und ein wirkungsvolles Ineinandergreifen der Behandlungs- und Unterstützungssettings.
Gestärkt werden sollen zudem aufsuchende Versorgungsangebote (sogenanntes Home-Treatment). Angebote zur Krisenintervention, Selbsthilfe und Antistigma-Arbeit werden weiterentwickelt und spezifische Angebote für psychisch erkrankte junge Menschen, Wohnungs- und Obdachlose und Frauen mit Gewalterfahrungen verstärkt. Ein zentraler Bestandteil des Psychiatrieplans ist auch eine eigens geschaffene Präventionsstelle zur Verhinderung forensischer Krankheitsverläufe und schwerer Straftaten. Die Früherkennung von Risikopatientinnen und -patienten wird somit verbessert und die Beratung von Betroffenen, aber auch Angehörigen ausgebaut. Forensische Institutsambulanzen sollen dezentral aufgebaut werden, um Patientinnen und Patienten außerhalb von Kliniken niedrigschwellig behandeln zu können. Fachkräfte werden für den Umgang mit schwer psychisch Erkrankten mit der Neigung zur Gewalt sensibilisiert und weiter qualifiziert.
Geplant sind auch bezirkliche Psychiatriekoordinationen zur Leitung und Steuerung des Fall- und Kooperationsgeschehens in den GPV sowie ein Expertenrat auf Landesebene als beratendes Gremium zur Weiterentwicklung der Hamburger Psychiatrieplanung.
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer: „Eine psychische Erkrankung kann Jede und Jeden treffen und stellt für Betroffene, aber auch Angehörige eine Ausnahmesituation dar. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen gut versorgt werden und nicht durchs Raster fallen. Hamburg strukturiert deshalb die Zusammenarbeit in der Versorgung schwer psychisch erkrankter Menschen neu. Sie soll künftig deutlich bedarfsgerechter und wohnortnaher stattfinden. Ein Schlüssel hierzu liegt in einer verbindlichen Kooperation der unterschiedlichen Versorgungssysteme. Gemeindepsychiatrische Verbünde, in denen die unterschiedliche Hilfesysteme eng koordiniert zusammenarbeiten, sorgen dafür, dass psychisch schwer erkrankte Menschen zum Beispiel nach einem Klinikaufenthalt nicht mehr ohne weiterführende Hilfe dastehen. Auch das Thema Prävention von psychischen Erkrankungen nehmen wir verstärkt in den Fokus. Eine neue entstehende Fachstelle soll hier so früh wie möglich ins Hilfesystem vermitteln, damit psychisch schwer erkrankte Menschen gar nicht erst Gefahr laufen, straffällig zu werden. Damit entlasten wir auch den Maßregelvollzug.“
Prof. Dr. Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE): „Das bisherige Versorgungssystem ist stark fraktioniert, wenig koordiniert und baut auf eine Komm-Struktur. Das fällt vor allem bei Menschen mit chronischen und schweren psychischen Erkrankungen negativ ins Gewicht. Der hier vorgestellte Ansatz adressiert genau dieses Problem. Mit neuen Therapieinstrumenten, klarer Behandlungsverantwortung, Verbindlichkeit und durch das Einbeziehen aller Akteure in der Gesundheitsversorgung einschließlich der Betroffenen geht Hamburg neue Wege, um zentrale Probleme vieler Ballungsräume in Deutschland anzugehen.“
Dr. Stephanie Wuensch, Leitende Ärztin und Geschäftsführerin auxiliar GmbH der Stiftung Freundeskreis: „Der Psychiatrieplan stellt einen echten Fortschritt dar. Es ist gelungen, alle Akteure in diesem Bereich an einen Tisch bzw. in zahlreiche Arbeitsgruppen zu bringen und schon an dieser Stelle die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft langsam lebendig werden zu lassen. Es gibt messbare Ergebnisse und das in für solche Prozesse ungewöhnlich kurzer Zeit. Die neuen, klaren Strukturen, insbesondere zum Beispiel der Gemeindepsychiatrischen Verbünde, führen in allen Hamburger Bezirken zu vergleichbaren Abläufen, Qualität und Verantwortlichkeiten. Positiv ist, dass nicht nur Spezialeinrichtungen für besonders schwer erkrankte Menschen mit weiteren Risikofaktoren neu eingerichtet werden, sondern auch bestehende Behandlungsangebote, die aber entweder wenig bekannt sind oder durch schlechte Rahmenbedingungen wenig in der Trägerlandschaft angeboten wurden, auf der anderen Seite aber genau die geforderten versorgungspolitischen Verbesserungen beinhalten, gefördert und weiterentwickelt werden.“
Frau Dr. Astrid Jörns-Presentati, Netzwerkmoderatorin im Modell Hamburger Süden, Asklepios Klinikum Harburg, Zentrum für seelische Gesundheit und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW): „Die Erfahrungen aus der Modellregion im Hamburger Süden zeigen eindrucksvoll, wie wertvoll eine enge Vernetzung auf Praxisebene ist. Der regelmäßige Austausch und die Zusammenarbeit im Verbund führen nicht nur zu innovativen Lösungsansätzen für Menschen mit komplexen Bedarfen, sondern auch zu einem nachhaltigen Gewinn an Fachexpertise und gegenseitigem Verständnis. Dabei haben sich die Maximen ‚Keiner geht verloren!‘ und ‚Keiner kann alles‘ sowie die aktive Beteiligung der Betroffenen als zentrale Arbeitsprinzipien bewährt. Diese Erkenntnisse wollen wir nutzen, um weitere verbindliche Netzwerke im gesamten Hamburger Stadtgebiet aufzubauen.“
Bei den Maßnahmen des Psychiatrieplans geht es ausdrücklich nicht darum, neue Versorgungsangebote neben den bestehenden Regelversorgungssystemen zu schaffen. Vielmehr sollen die Strukturen im Hilfesystem verändert und enger verbindlicher verzahnt werden. Auf diese Weise sollen schwere Krankheitsverläufe mit einem Potenzial an Fremdgefährdung vermieden und in der Folge schwere Straftaten verhindert werden. Damit leistet der Psychiatrieplan auch einen Beitrag zum Opferschutz. Die Maßnahmen wirken den steigenden Platz- und Bettenbedarfen sowohl in der Allgemeinpsychiatrie als auch in der Forensischen Psychiatrie entgegen, der Maßregelvollzug soll entlastet werden. Auch psychisch erkrankte Menschen mit leichteren Krankheitsverläufen sollen von verbesserten Strukturen im Behandlungssystem profitieren.
Insgesamt umfasst der Landespsychiatrieplan 14 Zielsetzungen und 25 Maßnahmen. Sie werden in den kommenden Jahren koordiniert durch die Sozialbehörde mit den vielfältigen Akteuren umgesetzt. Im Hamburger Haushalt sind jährlich rd. 7 Millionen Euro für die Umsetzung der Maßnahmen hinterlegt. Der Landespsychiatrieplan wurde vom Senat bereits am 7. Januar beschlossen und wird nun in der Sitzung am 26.02.2025 der Bürgerschaft zu Abstimmung vorgelegt.” (rd/PM)