Kunst: Die Sammlung
Domnick

Das außergewöhnliche Gebäude, das das Paar für ihre Kunstsammlung bauen ließ, diente zugleich als Wohnhaus. Foto: Sammlung Domnick

Das Ehepaar Domnick und seine einzigartige Sammlung abstrakter Kunst in Nürtingen ist Thema des aktuellen Beitrags unserer Geschichtsserie. Unter dem Titel „Psychiatrie macht Geschichte“ führt Autor Rolf Brüggemann die EPPENDORFER-Leserinnen und Leser regelmäßig zu historisch bedeutsamen Stätten und Museen, informiert aber auch über besondere Fundstücke und historische Persönlichkeiten der Psychiatrie – im Inland, aber auch im näheren Ausland.

Ottomar Domnick (1907 bis 1989) studiert Medizin, absolviert die Facharztausbildung in Neurologie und Psychiatrie und eröffnet vor dem Krieg eine Praxis, die er danach zu einer Privatklinik in Stuttgart ausbaut. Klingt nach einer rasanten Karriere? Wie so oft lohnt ein Blick dahinter: Domnick kann als Kind den Ansprüchen seiner Eltern kaum genügen. Der Tiefpunkt ist das Verfehlen des Klassenziels. Zunächst muss er den Umweg über eine Ausbildung als Mechaniker gehen, später holt er das Abitur nach. Zudem prägt Domnick ein herber Schicksalsschlag: Er verursacht mit 26 Jahren einen Autounfall, in dessen Folge sein Vater stirbt. Diese Erfahrungen prägen Domnick. Er sucht Wege der Befreiung. Aus der „schwarzen Pädagogik“ des Elternhauses, aus dem Denken der Zeit, wohl auch aus der NS-Ideologie.

Greta Domnick: Kurze Haar und Motorradfahrten


Greta Domnick (1909 bis 1991) studiert Neurologie und Gehirnchirurgie – was zu dieser Zeit für Frauen äußerst unüblich ist. Als sichtbares Zeichen für ihre Fortschrittlichkeit trägt sie die Haare kurz und rast mit dem Motorrad umher. Greta und Ottomar heiraten 1938.

Wer Informationen über die Domnicks sucht, findet schnell die herausragende Kunstsammlung. Das Wirken der beiden als Psychiater in ihrer Privatklinik kann im Buch „Hauptweg und Nebenwege“ erahnt werden. Man darf spekulieren, was hierbei als Hauptweg gilt. Natürlich ist Domnick zuerst Arzt. In seiner Arbeit prägen den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie drei Schulen: die Hirnpathologie, die Neurosenlehre und die Psychosomatik. Für letztere ist die breite Ärzteschaft nach dem Krieg noch nicht bereit. Domnick sieht die Zuwendung zentral: „Nur das Nichtanfassen ist schändlich. Denn das muss der Patient zuallererst spüren: Hilfe – an die Hand genommen werden, hinhorchen, eingehen, das Gespräch suchen.“ Im Lazarett – im Krieg arbeitete er als Arzt an der Ostfront und zuletzt in einem Militärlazarett in Breslau – hat er die Bindegewebsmassage kennengelernt, nun behandelt er damit vegetative Störungen. Domnick blickt ironisch auf die Psychiatrie: „Die Tendenz, schließlich fast die ganze Menschheit neurotisch zu erklären, selbstverständlich mit Ausnahme der Psychotherapeuten.“


Die Domnicks fahren mehrgleisig. Zur Medizin kommt die Kunst. Bereits 1948 organisieren sie den ersten deutschen Beitrag der Pariser Kunstausstellung, den Salon des Réalités nouvelles, und im selben Jahr noch eine Wanderausstellung mit Pariser abstrakten Bildern. Die Domnicks nehmen Fahrt auf – und ergattern 1950 auch den ersten Porsche aus Stuttgart-Zuffenhausen.

Kriegsverarbeitung mit einem avangardistischen Film

Mit seinem avantgardistischen Film „Jonas“ verarbeitet Domnick das Schicksal eines Kriegsheimkehrers. Jonas wird mit seiner Schuld konfrontiert, mit der Angst vor der Verantwortung, und entwickelt eine Psychose. Der Film bekommt einen Bambi.

Ende der 60er ist das Ehepaar auf der Zielgeraden. In Nürtingen lassen sie ein außergewöhnliches Gebäude für ihre Kunstsammlung bauen, das zugleich als Wohnhaus dient. Werke vieler Künstler wie Willi Baumeister, Pierre Soulages und Hans Hartung sind hier nebst afrikanischen Masken zu bestaunen. Der Park rundum dient den Skulpturen. Hier leben und wirken die beiden bis zum Tod Ottomars 1989.

Zwei Jahre später spielt wieder ein Auto eine Rolle: Greta nimmt sich mit Autoabgasen das Leben. Sie hat Angst, entführt und erpresst zu werden, will so den Fortbestand des gemeinsamen Lebenswerkes sicherstellen.


Heute ist hier ein Ausflugsziel der besonderen ART mit Blick auf die Kunst und die Schwäbische Alb.


Literatur: Ottomar Domnick: „Hauptweg und Nebenwege: Psychiatrie, Kunst, Film in meinem Leben“, Hamburg 1977.


Rolf Brüggemann
(Diplom-Psychologe und Leiter des Psychiatriemuseums MuSeele im Klinikum Christophsbad)