HEILIGENHAFEN. Dr. Ronald Mundhenk ist seit 25 Jahren Krankenhausseelsorger für die Patienten im AMEOS Klinikum Heiligenhafen. Der Pastor hat es nie bereut, von einem Gemeindepfarramt auf das Klinikgelände zu wechseln.
Ob er mal überlegt hätte, noch einmal ein anderes, „normaleres“ Pfarramt auszuüben? Dr. Ronald Mundhenk muss nicht lange überlegen: Ja, ab und an habe er schon daran gedacht, sich beruflich noch einmal umzuorientieren. Aber er habe dann nie an eine konkrete Umsetzung gedacht: „Ich habe mich doch immer sehr gebraucht gefühlt.“ Der Pastor hat auf dem Klinikgelände in Heiligenhafen, was ja an sich schon eine ganz eigene Welt ist, verglichen mit der Welt „draußen“, noch einmal einen Mikrokosmos geschaffen. Der Kirchsaal und der dazugehörige Gemeinderaum seien für die Patienten der Welt eine Art „spirituelle Insel“, beschreibt er diesen Mikrokosmos.
Seine Arbeit sei schon eine sehr besondere, sagt er nachdenklich. Er kennt sich aus, denn bevor Ronald Mundhenk im Dezember 1990 in Heiligenhafen begann, war er sechs Jahre lang Gemeindepfarrer in Angeln. Die Arbeit im damaligen Landeskrankenhaus habe ihn gereizt. Schon in seiner Zivildienstzeit in den 70er Jahren hatte er in einer Psychiatrie gearbeitet, zusätzlich machte er eine Psychotherapie- und Seelsorgeausbildung. Damals konnte er noch nicht ahnen, dass er einmal in einer psychiatrischen Klinik als Pastor arbeiten würde.
Für ihn sei es außerdem wichtig gewesen, dass er in Heiligenhafen keine Residenzpflicht habe wie ein Gemeindepfarrer. So ließen sich private und dienstliche Angelegenheiten besser auseinander halten. Was aber nicht eine strikte Trennung bedeutet. Dafür fordert ihn sein Job dann doch zu existenziell. Viele Menschen begleite er über einen langen Zeitraum hinweg, viele kenne er seit Jahren, da käme man sich oft auch menschlich sehr nah.
Eine spannende Arbeit, sagt er. Menschen mit den unterschiedlichsten Krankheitsbildern treffe er, seit einigen Jahren besonders im Eingliederungsbereich immer mehr junge Menschen – auch viele, die in ihrem Leben vorher noch nie Berührung mit der Kirche hatten. Nicht alle, die zum ihm kommen, täten dies aus rein religiösem Interesse. Manche wollen sich einfach nur zugehörig fühlen, Gemeinschaft erleben, Abwechslung haben zum Klinikalltag.
Jeden Sonntag feiert er im Kirchenraum auf dem Gelände einen Gottesdienst, den die Klinikbewohner auch gerne selbst mit gestalten, mit Lesungen, Gebeten oder musikalischen Beiträgen. „Ich merke immer wieder eine große Hilfsbereitschaft von den Menschen – und auch den Wunsch, sich zu beteiligen, gebraucht zu werden.“
Donnerstags kommen viele Besucher zur „offenen Kirche“, eine „herrliche, manchmal etwas chaotische, in jedem Fall sehr lebendige Veranstaltung mit viel Musik, Vorlesen und Kaffeetrinken“, wie er es selbst beschreibt. Es seien oft bis zu 40 Menschen da, viele darunter, die sonst eher selten raus kämen. Außerhalb des Gottesdienstes und der „offenen Kirche“ sei er zu festen Zeiten seelsorgerischer Ansprechpartner und in seinem Sprechzimmer telefonisch und persönlich erreichbar. „Mir ist es wichtig, dass die Menschen wissen, dass sie sich nicht als Patienten zu mir begeben, sondern dass sie sich angenommen fühlen, unabhängig von Diagnosen und komplizierten Lebensgeschichten.“ Und so stehe für ihn auch im Mittelpunkt, ihnen ein Gemeinschaftsgefühl zu geben. „Ich arbeite ressourcenorientiert, was bedeutet, dass ich nicht die Defizite in den Menschen sehe, sondern sie in ihren Selbstheilungskräften bestärken möchte, mit ihnen erforschen möchte, was sie aus ihrem Leben noch machen können.“
Darüber hinaus einen sicheren Ort anzubieten, ein Stück Halt in schwierigen Situationen zu geben, das ist dem Pastor wichtig. Relativ selten arbeite er mit Therapeuten zusammen, denn die klinische Diagnose stehe nicht im Vordergrund bei seinem Tun: „Bei mir geht es um den ganzen Menschen. Mit all seinen Facetten.“
Ob die Kirche in der Klinik eine andere Rolle spiele als in der „Außenwelt“? „Gott, Glaube und Spiritualität haben in der Einrichtung eine andere, existentiellere Qualität“, sagt Mundhenk. Für viele Menschen gehe es in der Psychiatrie um Lebensqualität, um das psychische Überleben, manchmal wirklich um Leben und Tod. Da gewinne der Glaube als Halt und Orientierung ein besonderes Gewicht.
Sieben Jahre war er zusätzlich zu seinem Pfarramt in Heiligenhafen auch in der Forensik im AMEOS Klinikum Neustadt tätig, eine spannende Arbeit, durch die strikte Geschlossenheit eine andere Welt als in Heiligenhafen, wo eher die Erprobung des Lebens im Mittelpunkt stehe, sagt er. Inzwischen teilten sich die Seelsorge in Neustadt der evangelische Pastor Stefan Kramer und der katholische Pfarrer Helmut Michels. Ronald Mundhenk begleitet in Neustadt aber noch weiter eine Angehörigengruppe.
25 Jahre sind eine lange Zeit, in der Ronald Mundhenk viele verschiedene Menschen traf. Einige von ihnen sind ihm besonders im Gedächtnis geblieben, so wie der mittlerweile verstorbene Wolf-Dietrich Rossoll, „ein Heiliger für viele“, der stark auf seine Mitmenschen gewirkt habe, über 50 Jahre in der Klinik lebte, die Klinik als Zuhause und als seine Berufung annahm. „Er hat sich trotz einer schwierigen Lebensgeschichte und krankheitsbedingter Einschränkungen bis ins Alter unerhört viel Charisma und Lebendigkeit bewahrt“, erinnert er sich. Rossoll sei ihm wie viele andere besonders ans Herz gewachsen. Noch zwei Jahre hat Dr. Ronald Mundhenk als Pfarrer auf dem Klinikgelände in Heiligenhafen vor sich. Dann will er in Rente gehen. Und dann? Vielleicht noch ein Buch schreiben, drei hat er schon in den vergangenen Jahren veröffentlicht. Vorträge halten. Und vor allem wandern, reisen, lesen – das, was er jetzt schon leidenschaftlich gerne in seiner Freizeit macht.
Nathalie Klüver