Der Corona-Kampf in den Heimen

Wohl dem, der eine gut schützende Maske hat. Bei demenzkranken Menschen kann die Schutzkleidung von Pflegekräften auch Ängste auslösen. Foto: pixabay

Angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus reduzieren viele Einrichtungen der stationären Altenhilfe soziale Kontakte mittlerweile auch in der täglichen Arbeit auf ein Minimum. Das treffe beispielsweise auf die Körperhygiene zu und auf das Essen, sagte der Geschäftsführer des Niedersächsischen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege (NEVAP), Frank Pipenbrink, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Hannover. So würden der Baderhythmus geändert, das Essen nicht mehr im Speisesaal gereicht und jede Betreuungssituationen in der Gruppe vermieden.

Das Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung steigt nach Angaben des Robert Koch-Institutes ab 50 bis 60 Jahren bedingt durch ein weniger gut reagierendes Immunsystem im Alter stetig an. So starben in den vergangenen Tagen im diakonischen Hanns-Lilje-Pflegeheim Wolfsburg 15 Menschen infolge einer Coronavirus-Infektion, Dutzende der 165 Bewohner sollen infiziert sein. Wie es zum Ausbruch des Virus in der Einrichtung kommen konnte, ist unklar.

Das Heim hat sich auf die Versorgung demenzkranker alter Menschen spezialisiert. Gerade mit Blick auf diese Bewohner könnten unumgängliche präventive Maßnahmen durchaus negative Folgen haben, erläuterte Pipenbrink. „Wenn alle im Umfeld Masken und Schutzkleidung tragen, löst das auch Ängste aus, das ist nicht einfach.” Klar sei zudem, dass Sozialkontakte nicht komplett eingestellt werden könnten: „Was haben die Menschen noch, wenn sie 24 Stunden am Tag isoliert in einem Zimmer leben?” Ohnehin seien in den Pflegeheimen Besuche von außen mittlerweile verboten.

„Riesenrespekt vor dem Pflegepersonal”

Er habe einen Riesenrespekt vor dem Pflegepersonal, das sich diesen Herausforderungen stelle. „Alle ziehen mit, viele arbeiten über ihre Kräfte hinaus”, berichtete Pipenbrink. Das größte Problem, mit dem die Beschäftigten in den Heimen zu kämpfen hätten, sei derzeit fehlende Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel, das zur Neige gehe. „Das treibt uns richtig um.” Er lobte Initiativen von Nähkreisen, die Masken herstellten und Schnapsbrenner, die Desinfektionsmittel mischten. “Das hilft, die Not macht erfinderisch.” Aber das könne natürlich professionelle Ausrüstung mit hohem Schutzstandard nicht ersetzen.

Den Vorschlag, dass Corona-infizierte Pflegekräfte, die keine Symptome haben und sich gesund fühlen, Bewohner mit einer Covid-19-Erkrankung versorgen, findet Pipenbrink angesichts des grundlegenden Mangels an Personal gut. „Das ist völlig in Ordnung, da kommt keiner zu Schaden.” Voraussetzung sei, dass gesunde Bewohner in einer Einrichtung streng von Menschen mit einer Infektion und Verdachtsfällen getrennt würden: “Da müssen wir jede Vorsicht walten lassen.”

Pipenbrink hofft, dass nach der Corona-Krise in der Politik neu über die Ökonomisierung des Gesundheitswesens nachgedacht wird. „Da müssen wir komplett umdenken”, betonte der Altenhilfe-Experte und kritisierte beispielsweise die Produktion von Schutzausrüstung zu Billigpreisen in Asien und die knappe Personaldecke in Heimen, Kliniken und ambulanten Diensten. „Das System war schon vor der Corona-Krise so krank, dass man es hätte beatmen müssen.” NEVAP vertritt 180 Träger mit 300 Einrichtungen der offenen, ambulanten, teilstationären und stationären Altenhilfe sowie fachbezogene Bildungsträger in Niedersachsen. (epd-Gespräch: Dieter Sell)