Unmenschlichkeit und Gewalt im Umgang mit hilfsbedürfigen behinderten Menschen setzten sich auch in Hamburg auch nach der Nazizeit fort. Wie brutale Ausmaße das bis in die siebziger Jahre annahm, das zeigt ein neuer Dokumentarfilm mit dem Titel „Alsterdorfer Passion“, der die Geschichte der ehemaligen „Alsterdorfer Anstalten“ in Hamburg zwischen 1945 und 1979 kritisch beleuchtet. Darin zu sehen sind viele Zeitzeugen. Auch ehemalige Bewohner schildern das Leid, das ihnen zugefügt wurde. Die Evangelische Stiftung Alsterdorf hat die Filmemacher Bertram Rotermund und Rudolf Simon mit dem Film beauftragt. Premiere mit anschließender Diskussion war am 20. März in der Kulturküche auf dem Alsterdorfer Markt.
Ausgehend von den Euthanasieverbrechen im Nationalsozialismus – mehr als 500 behinderte Bewohner wurden in die Tötungsanstalten der Nazis deportiert und dort ermordet – änderte sich auch nach Kriegsende für die Bewohner der Alsterdorfer Anstalten lange Zeit wenig: Zwar mussten die leitenden Personen gehen – doch zur Rechenschaft gezogen und bestraft wurde keiner von ihnen. Und: „ … das gesamte Personal (95 Prozent der Mitarbeiter waren ehemalige Parteigenossen, Mitglieder der SA oder anderer Gliederungen der Partei) blieb und mit ihnen die Massenquartiere, kollektive Hygieneverrichtungen, Aufhebung jeglicher Intimsphäre dazu auch Formen direkter Gewalt wie Essenentzug, Schläge, Strafestehen, Strafliegen, Fixierungen, Zwangskleidung und Einsperren“, heißt es in der Filmankündigung.
Erst als Ende der 70er Jahre jüngere Mitarbeiter und Zivildienstleistende die menschenunwürdigen Zustände anprangerten und damit in die Öffentlichkeit gingen – nicht zuletzt im Rahmen eines Berichts im Zeit-Magazin („Schlangengruben in unserem Land“, 20. April 1979), der große Wellen schlug – setzte allmählich ein Paradigmenwechsel ein, entstanden neue Konzepte in der Behindertenhilfe. Große Schlafsäle wurden aufgelöst und Wohngruppen gegründet.
2013 hat die Stiftung Alsterdorf unter dem Titel „Mitten in Hamburg“ bereits eine Dokumentation in Buchform zur Aufarbeitung ihrer Geschichte herausgegeben. Am 20. März wurde auch darüber informiert, was seit der gemeinsamen Auftaktveranstaltung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration für die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ vor einem Jahr getan hat und wie Betroffene weiterhin Anträge auf Leistungen stellen können. Einen ausführlichen Bericht lesen Sie in der nächsten EPPENDORFER-Printausgabe, die Anfang Mai erscheint. (rd)