Architektur und Unruhe

Karl Junkers Entwurf für die Berliner Museumsinsel 1883. (© Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg)

Architektur gestaltet unser Leben und Erleben – das war besonders Menschen bewusst, die den Großteil ihres Lebens hinter den Mauern einer psychiatrischen Anstalt verbrachten. In der historischen Heidelberger Sammlung Prinzhorn mit Werken von Anstaltsinsassen aus der Zeit um 1900 finden sich neben Anstalts- und Zellendarstellungen eine Vielzahl unterschiedlicher Baumotive – von kleinteiligen abstrakten Entwürfen bis zu großformatigen, fantastischen Architekturzeichnungen. Die aktuelle Ausstellung „Unruhe und Architektur“ präsentiert eine Auswahl von 150 Papierarbeiten und Gemälden, von denen etliche noch nie gezeigt wurden.

 Nur zu einem kleinen Teil stammen die Bilder von Architekten oder Bau-Fachleuten, wie etwa Paul Goesch oder Joseph Schneller. „Die Autoren waren daher umso ungebundener in ihren Vorstellungen und deren zeichnerischer Umsetzung. In den Werken kann die Architektur die Umwelt dokumentieren oder bloßes Beiwerk sein, um die eigene Lebensgeschichte zu erzählen, sie kann aber auch zum Inbegriff der Lebensträume und -alpträume oder zum Ausdruck aufgewühlten Seelenlebens werden“, heißt es in der Pressemitteilung der Sammlung Prinzhorn. „Die dargestellten Räume erlauben ihren Zeichnern, persönliche Erlebnisse zu verorten, oder geben als transparente Architekturen Blicke in ihr symbolisiertes, beunruhigtes wie beunruhigendes Innenleben frei.“

Die Werke in den Eingangskabinetten setzen sich mit der Anstaltsarchitektur auseinander: „Der gesetzlose Schlangen=Irrenhausschuppen“ von Heinrich Mebes zeigt die Landesirrenanstalt Eberswalde als gottverlassenes Haus, in dem eine teuflische Riesenschlange ihr Unwesen treibt. Franz Kleber tarnte die Anstalt Regensburg im ehemaligen Kloster Karhaus-Prüll als militärische Anlage mit Vorwerken, Kanonen und Wachtürmen. Bei genauem Hinsehen sieht man, dass Kleber die „Irrenkaserne“ umzäunt mit einer Mauer aus „Gummi oder Kautschuk“ – sie somit als riesige Tobzelle darstellt. Auch in der 1878 errichteten Heidelberger „Universitäts-Irrenklinik“ haben sich Frauen und Männer mit ihrer gebauten Umgebung auseinandergesetzt. Sie lebten auf jeweils separaten Stationen für „Ruhige“, „Halbruhige“ und „Unruhige“. Ihre Zeichnungen zeigen das Heidelberger Klinikgebäude als Ganzes, die Gartenanlage oder architektonische Details wie ein vergittertes Fenster. 

Für die Ausstellung im Saal konzipierte der Architekt Stephen Craig (IBA-Kuratorium) eine monumentale Raum-im-Raum-Architektur. In den hier präsentierten Werken geht Architektur die unterschiedlichsten Verbindungen mit Menschen, Landschaft oder Schrift und Ornamentik ein. Äußere wie innere Wechselwirkungen von Mensch und gestalteter Umwelt werden so deutlich. Die Patientenkünstler verwendeten für ihre Werke das, was ihnen zur Verfügung stand: Auf die Rückseite eines Kalenderblatts vom 27. Januar 1910 („Kaisers Geburtstag“) zeichnete Wilhelm Maasch ein mit rot- orangen und grün-violetten Blütenblättern und -spiralen gefülltes Haus, dessen Giebel eine Laterne trägt.

Auf hauchdünnem Toilettenpapier entstanden die abstrakten „Bau-Demonstrationen“ des Landstreichers Arthur Becker (oder Buhr?), der zwischen 1910 und 1920 Patient der Anstalt Langenhorn bei Hamburg war. Seine zahlreichen „Luttenlappen“ lassen sich vermutlich auf Frischluftröhren im Untertagebau (Lutten) zurückführen. Spiegeln sie beengte oder angstbesetzte Raumverhältnisse der Anstalt wieder, in der er sich wie unter Tage lebendig begraben fühlte?

Marie Werner zeichnete die Erinnerung an ihr Mannheimer Wohnhaus auf Anstaltsformulare zur Krankengeschichte. Die kindlich anmutenden, abstrakt reduzierten Hausfassaden belebte sie mit Wohnmobiliar und Adressangabe. Eugenie P. nähte sich ein dreiblättriges beschriftetes Wohn-Heft, in dem sie sich ihr ehemaliges Wohnhaus mit einer Schlafzimmer-, Esszimmer- und Kücheneinrichtung wieder aneignete: „Ma petite chambre 1912–1913“. Der Bildhauer Emil Steiner riss mit bloßen Händen aus Aktenpapier eine filigrane Palast-Silhouette mit runden Fensterbögen, Zinnen und Spitztürmen.

(Quelle: Sammlung Prinzhorn, Universitätsklinikum Heidelberg)

Unruhe und Architektur – Ausstellungsdauer:   bis 26. August 2018

Sammlung Prinzhorn, Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinikum Heidelberg, Voßstraße 2, 69115 Heidelberg, www.sammlung-prinzhorn.de

 Öffnungszeiten: Di bis So 11-17 Uhr, Mi 11-20 Uhr, Mo geschlossen, öffentliche Führungen: Mi 18 Uhr und So 14 Uhr, Buchungen: 06221 – 564492, Besucherinformationen: 06221 – 564739