Unser Autor besucht mit Vergnügen die Museen dieser Welt – und erfreut sich dabei auch an nackten Tatsachen mit Verbindungen zu historischer Prominenz wie dem Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld und dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan.
Ich gehe schon immer gerne in Museen. Vor etwa 20 Jahren ging ich in das Beate Uhse (1919-2001) Erotik Museum, Nähe Bahnhof Zoo in Berlin. Auf zwei Etagen oberhalb des Erotik-Shops waren aus verschiedenen Kulturen erotische Preziosen, Sexspielzeug, Verhütungsmittel, Bilder und diverse andere Überraschungen zu sehen. Besonders beeindruckt hat mich das nachgestellte Arbeitszimmer von Magnus Hirschfeld (1868 – 1935) mit Schreibtisch, Büchern, etc..
Der deutsche Arzt gilt als Pionier der am Ende des 19. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika entstehenden Sexualwissenschaft. Im Nationalsozialismus wurde sein Engagement alles andere als gewürdigt, er wurde vielmehr drangsaliert und gedemütigt, sein Institut wurde geplündert, seine Bibliothek am 10. Mai 1933 auf dem Bebelplatz in Berlin von einem Studentenmob verbrannt. Magnus Hirschfeld emigrierte nach Frankreich. Ähnlich erging es seinem Zeitgenossen Eduard Fuchs (1870 – 1940), der unter anderem mit seiner illustrierten Sittengeschichte seinerzeit und posthum viele Auflagen hatte. Auch er emigrierte nach Frankreich; seine umfangreiche Kunstsammlung wurde zwangsversteigert.
Lacan versteckte das lange mysteriös verschwundene Werk hinter einem anderen Bild
Der in Göppingen geborene Ernst Fuchs, humorvoll Sittenfuchs genannt, erlaubt mir den Schwenk zu einem besonderen Kunstwerk, das als Kopie, gerahmt, ebenfalls bei Beate Uhse hing: „Der Ursprung der Welt“ lautet vollmundig der Titel des Ölgemäldes von Gustave Courbet (1819 – 1877) aus dem Jahr 1866. Ich kannte das Original bereits von früheren Besuchen des Musée d’Orsay in Paris, wo es vom Wachpersonal geschützt wurde. Das Bild zeigt fokussiert den nackten Unterleib einer Frau mit der behaarten Scham und der Brust. In dieser Präsentation der Nacktheit wirkt das Bild provokant und entsprechend rankt sich darum bis heute eine Skandalgeschichte. Ich berichte von der jüngsten.
Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan (1901 – 1981) konnte zusammen mit seiner Frau das lange mysteriös verschwundene Bild erwerben und hatte es in seinem Haus sozusagen hinter einem anderen Bild versteckt und gewährte nur Eingeweihten den Blick darauf.
Als ich nun aktuell von einer Ausstellung über den Analytiker Jacques Lacan im Centre Pompidou in Metz erfuhr, bin ich mit zwei Kolleginnen dorthin gefahren. Lacan hat die Psychoanalyse von Sigmund Freud (1856 – 1939) weiterentwickelt, und seine Ideen hat er in vielen Kunstwerken widergespiegelt gesehen. So vermittelte auch das Centre Pompidou die Lacan’schen Theorien anhand vieler zeitgenössischer Kunstwerke. Auch das umstrittene Bild von Courbet war dort ausgestellt. Wir gingen durch die Räume der modernen Architektur des Museums und lernten über Dali, Masson, Duchamps, Duras, Messager, Sherman, Bellmer, Bourgeois, Broodthaers und weitere Künstler einen Zugang zur Seele. Im Raum, wo das besagte Bild hängen sollte, war allerdings eine leere Wand: Aktivistinnen hatten wenige Tage zuvor die Glasscheibe vor dem Gemälde mit einem roten „Me too“-Schriftzug besprüht. Daraufhin wurde das Bild abgehängt.
Im Raum, wo das umstrittene Bild hängen sollte, war die Wand leer
Ich finde das Anliegen von „Me too“ wichtig und auch richtig, aber diesen Bildersturm einfach nicht gut. Ich glaube hingegen, dass das Anliegen aller bisher hier genannten
Personen ein zutiefst aufklärerisches ist. Die Auseinandersetzung damit sollte zivilisiert erfolgen.
Weiterhin besuche ich mit Vergnügen die Museen dieser Welt und erfreue mich auch an nackten Tatsachen, wie unlängst an einer Darstellung von „Amor und Psyche“ in der Stuttgarter Staatsgalerie: Die in der Mythologie für ihre Schönheit gerühmte Psyche liegt mit halb aufgerichtetem nacktem Körper auf einem Kissen und umfasst den über ihr knienden Amor, der sich trotz des Verbots seiner Mutter, der Göttin Venus, in Psyche verliebt.
Ich empfehle dazu die gleichnamige Lektüre des antiken Apuleius, günstigst bei Reclam erschienen.
Rolf Brüggemann (Diplom-Psychologe und Leiter des Psychiatriemuseums MuSeele im Klinikum Christophsbad). Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 4/24
Mit der Serie „Psychiatrie macht Geschichte“ führt Autor Rolf Brüggemann die EPPENDORFER-Leserinnen und Leser zu historisch bedeutsamen Stätten und Museen, informiert aber auch über besondere Fundstücke und historische Persönlichkeiten der Psychiatrie – im Inland, aber auch im näheren Ausland.