Zum Abschied holte der entschiedene Gegner der Cannabis-Legalisierung, Prof. Dr. Rainer Thomasius, nochmal richtig aus – und erntete dafür massive Kritik. „Entgegen jüngster Medienberichte gibt es derzeit keine belastbaren Hinweise auf einen Anstieg des Heroinkonsums unter Jugendlichen seit der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene“, heißt es in einem gemeinsamen Statement von SUCHT.HAMBURG, dem Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) sowie dem Institut für Suchtforschung Frankfurt am Main (ISFF).
Die Kritik bezieht sich auf einen Abendblatt-Artikel vom 16. Mai, in dem – unter anderem im Seite 1- Aufmacher – über „eine hochkarätige Fachtagung“ berichtet wurde, mit der der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie – laut Abendblatt „einer der renommiertesten deutschen Suchtforscher“ – als Ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) und der Drogenambulanz in den Ruhestand verabschiedet wurde.
In dem Artikel wird Thomasius mit folgender Aussage zitiert: „Seit sechs Monaten gibt es ein Revival des Heroinkonsums in Hamburg, das ich in 30 Jahren bei den Jugendlichen nicht mehr erlebt habe.“
Aus seiner Sicht bestehe ein Zusammenhang zwischen der Cannabis-Legalisierung, neuen Konsummustern und einer nachlassenden Risikowahrnehmung. Dies führe laut Thomasius zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) durch jugendliche Heroin-Konsumenten.
Parallelen zu „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“?
Thomasius soll wörtlich an die Geschichte „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erinnert haben: „14-, 15-jährige Mädchen, die sich prostituieren und Heroin konsumieren – das sehen wir heute wieder.“ Doch die Hamburger Fachwelt widerspricht: Es gebe keine belegbaren Zahlen.
Belastbare Daten oder wissenschaftliche Quellen für ein konstatiertes „… Revival des Heroinkonsums in Hamburg“ nannte Thomasius offenbar nicht. „Daher muss man hier wohl eher von anekdotischer Evidenz als von epidemiologisch relevanten Entwicklungen ausgehen” heißt es in dem Statement. Auch aus anderen Suchthilfeeinrichtungen gebe es zwar Hinweise auf einen leicht erhöhten Kontakt zu jungen Menschen, die Opioide konsumieren – aber Heroin sei dabei selten. Einen kausalen Zusammenhang zur Cannabis-Legalisierung herzustellen, halten Expert*innen für „zu weit hergeholt“.
SCHULBUS-Studie zeigt keine Zunahme des Drogenkonsums
Bislang vorliegende Daten geben es offenbar auch nicht her. Vorläufige Auswertungen der jüngsten SCHULBUS-Daten, die regelmäßig unter Hamburger Jugendlichen erhoben werden, zeigten „keinerlei Anzeichen“ für eine Zunahme des Konsums von Cannabis oder anderen Drogen. Im Gegenteil: Der rückläufige Trend beim Cannabiskonsum unter Jugendlichen scheine auch nach der Legalisierung anzuhalten. Cannabis sei für Jugendliche derzeit „so unattraktiv wie seit mindestens 20 Jahren nicht mehr“. Auch der Konsum anderer Drogen wie Ecstasy sei rückläufig. Die Verbreitung von Heroin liege weiterhin im Promillebereich und bleibe damit stabil niedrig.
Dealer-Aquise mit Gratis-Heroin?
Auch für eine weitere Aussage von Thomasius, nach der „der Schwarzmarkt für Cannabis eingebrochen sei und Hamburger Dealer ihre heranwachsenden Kunden zunächst gratis mit Heroin versorgen, um es später an sie zu verkaufen“, so das Abendblatt, fehlten konkrete Belege.
Kritik an Dramatisierung und politischer Agenda
Vor diesem Hintergrund könne der Verdacht aufkeimen, so das Fazit der Fachleute, dass mit der ‚Wiederbelebung‘ der Geschichte von „Christiane F.“, der These vom „Revival des Heroinkonsums in Hamburg“ und dem „Mythos“ vom Dealer, der zur Kundenaquise kostenloses Heroin an Minderjährige verteilt, öffentlichkeitswirksam das vor gut einem Jahr in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) als gescheitert erklärt werden solle – noch bevor wissenschaftlich fundierte Evaluierungen zur Gesetzesänderung vorliegen. (rd/hin)