Was kommt nach
der Pflegekammer?

Gegen die Pflegekammer Niedersachsen wurde lautstark demonstriert, so wie hier im März 2019 in Hannover. Foto: screenshot/youtube.de

Seit Jahren tobt in Niedersachsen ein Streit um die Pflegekammer. Ihre Befürworter sehen sie als starke Stimme der Pflegekräfte, ihre Gegner als Bürokratiemonster. Eine Umfrage brachte jetzt Klarheit: Die meisten Mitglieder lehnen die Kammer ab. Sie soll nun aufgelöst werden.

Nach dem Aus für die umstrittenen Pflegekammer in Niedersachsen ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie sich die Interessen der Pflegekräfte am besten vertreten lassen. Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann (SPD) verkündete am Montag in Hannover nach einer Befragung unter den rund 78.000 Mitgliedern das Aus für die Kammer: Sie werde so schnell wie möglich aufgelöst. Bei der Umfrage hatten 70,6 Prozent der Teilnehmer gegen einen Fortbestand gestimmt. Der Bremer Pflegeforscher Professor Stefan Görres sprach unterdessen von einer “verpassten Chance” für die Pflegekräfte. Die Pflegeexpertin der Gewerkschaft ver.di in Niedersachsen, Aysun Tutkunkardes, forderte Sozialministerin Carola Reimann (SPD) am Mittwoch im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf, nun zeitnah einen Runden Tisch einzuberufen.

Tutkunkardes räumte ein, “es war nicht alles schlecht, was die Pflegekammer hervorgebracht hat”. Erstmals gebe es eine Übersicht über die Pflegekräfte in Niedersachsen. Die gewonnenen Daten sollten vom Ministerium sinnvoll genutzt werden. Auch die Verwaltung der Daten, sowie die Aufsicht über Fort- und Weiterbildung und die Zertifizierung solcher Bildungsangebote in der Pflege sollte beim Ministerium liegen. Über alle weiteren Fragen sollte der Runde Tisch entscheiden. Landesweit seien rund 20 Prozent der Pflegekräfte gewerkschaftlich organisiert. “Wir sind gesprächsbereit”, sagte Tutkunkardes.

Ministerin Reimann hatte zuvor betont: “Das Ergebnis ist eindeutig. Die Pflegekammer ist offensichtlich nicht die Form von Vertretung, die sich die Pflegekräfte wünschen.” An der Befragung beteiligten sich nach ihren Angaben etwa 15.100 Mitglieder, das entspricht rund 19,3 Prozent. 22,6 Prozent von ihnen stimmten für die Erhaltung der Kammer. 6,8 Prozent enthielten sich der Stimme. 

Die rot-schwarze Landesregierung wolle nun so schnell wie möglich einen Gesetzentwurf zur Auflösung der Kammer in den Landtag einbringen, sagte Reimann. Daran werde im Sozialministerium bereits gearbeitet. Die Landesregierung hatte den Fortbestand der Pflegekammer vom Ergebnis der Umfrage abhängig gemacht. “Mir scheint deutlich, dass man eine Interessenvertretung nicht von oben verordnen kann”, resümierte die Ministerin.

Die Kammer war 2016/17 auf Beschluss der damaligen rot-grünen Landesregierung gegründet worden, um den Interessen der Pflegekräfte eine starke Stimme zu verleihen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Seit ihrer Gründung kam es immer wieder zu Protesten gegen die Einrichtung. Der Widerstand richtete sich vor allem gegen die Zwangsmitgliedschaft aller Fachkräfte in der Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege sowie gegen die zunächst geplanten Pflichtbeiträge.

Pflegekammer und Grüne kämpfen für Erhalt

Die Pflegekammer selbst sowie die Grünen kämpfen unterdessen weiter für den Erhalt der Einrichtung. Aus dem Umfrage-Ergebnis könne kein Auftrag abgeleitet werden, die Kammer infrage zu stellen, sagte deren Präsidentin Nadya Klarmann. Dafür hätten sich zu wenig Mitglieder beteiligt. Ein gesetzlicher Auftrag könne nicht einfach auf der Basis eines Minderheitenvotums revidiert werden.

Ähnlich argumentierte die 2019 gegründete Bundespflegekammer, zu der neben der Pflegekammer Niedersachsen auch die Kammern aus Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sowie der Deutsche Pflegerat gehören. Die überwältigende Mehrheit der Kammermitglieder habe sich noch überhaupt kein Bild über die Arbeit der Kammer gemacht, sagte ein Sprecher. 

Der Pflegewissenschaftler Görres bedauerte das Ende der Kammer. Mit ihrem Votum verzichteten die Pflegekräfte auf Einfluss und politische Durchschlagskraft, wie sie andere Kammern in Deutschland etwa in der Apotheker- und der Ärzteschaft seit langem erfolgreich ausübten, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit dem Aus verliere die Pflege wertvolle Zeit, um ihren Einfluss zu erweitern. Das sei aus seiner Sicht “naiv”. 

Die Grünen argumentierten, ohne starke Interessenvertretung seien die Pflegekräfte den Krankenkassen sowie den Arbeitgebern ausgeliefert. “Die Pflegekammer abzuwickeln, wäre fatal”, sagte Landtagsabgeordnete Meta Janssen-Kucz. Die Koalition habe die Kammer “an die Wand gefahren” und komplett versagt.

Reimann räumte ein, es sei ein Konstruktionsfehler gewesen, dass sich die Kammer von Anfang an über die Beiträge ihrer Mitglieder habe finanzieren sollen. In der Debatte darüber seien auch große Kommunikationsfehler gemacht worden. “Hier ist viel Porzellan zerschlagen worden, das man im Nachhinein nicht mehr kitten konnte.”

(epd)