Seit Großbritannien Einsamkeit zum Regierungsthema mit eigenem Ressort macht ist loneliness in aller Munde. Die Staatssekretärin für Sport und Ziviles, Tracey Crouch, soll künftig zusätzlich auch der zunehmenden Vereinsamung von wachsenden Teilen der britischen Bevölkerung entgegenwirken und parteiübergreifend Projekte vorantreiben. Daraufhin hatte auch Diakonie-Präsident Ulrich Lilie mehr gesellschaftliches Engagement gegen Einsamkeit in Deutschland – „ein Bündnis aus Politik und gesellschaftlichen Gruppen, wie Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Sportvereinen und kulturellen Einrichtungen” – gefordert. Der Psychiater und Angstforscher Prof. Borwin Bandelow dagegen kritisierte im Deutschlandfunk die Idee, die Bekämpfung der Einsamkeit als gesundheitspolitische Aufgabe durch ein Ministerium zu regeln: „Wenn immer so was staatlich gelenkt wird, klappen sich bei mir die Fußnägel hoch. Ich glaube nicht, dass man staatlich gelenkt die Einsamkeit abbauen kann.” Da Gefühl von Einsamkeit sei oft auch selbst verschuldete, sagte er im Radio.
Mehr als neun Millionen der knapp 66 Millionen Briten fühlen sich laut Rotem Kreuz immer oder häufig einsam. Etwa 200.000 Senioren hätten höchstens einmal im Monat ein Gespräch mit einem Freund oder Verwandten. Einsamkeit kann Studien zufolge auch die Lebenserwartung reduzieren.Verschiedene Krankheiten von Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Lungenleiden bis zu Depressionen und Schlafstörungen werden auch mit Einsamkeit in Verbindung gebracht.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (Epd): Die Zahl der Menschen, die sich alleingelassen fühlten, wachse in den Städten wie auch auf dem Land. „Einsame Leute wieder in die Gesellschaft zu holen, ist eine Aufgabe, die man nicht einfach kommerziellen Anbietern wie Facebook oder Partnerschaftsbörsen überlassen darf”, unterstrich der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes.
Politik müsse mehr tun, um Einsamkeit vorzubeugen, mahnte Lilie: „Armut und Vereinsamung hängen ganz klar zusammen”. So habe in Berlin mehr als die Hälfte der Bewohner Angst, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können und deswegen ihre vertraute Umgebung verlassen zu müssen. „Da finden Verdrängungswettbewerbe statt, bei denen wir nicht einfach zugucken können.” Einsamkeit könne auch zu politischem Frust führen, warnte Lilie. „Die Leute melden sich dann auch politisch, indem sie Parteien wählen, von denen man sich nicht wünscht, dass sie größer werden”, sagte er.
Lilie lobte einen Vorstoß in Großbritannien zur Bekämpfung der Einsamkeit. „Einsamkeit ist ein Querschnittsproblem in unserer Gesellschaft, über das zu wenig geredet wird”, sagte der Diakonie-Präsident. Für Prof. Corwin Bandelow ist die Einsamkeit dann ein gesundheitliches Problem, wenn sie zur sozialen Phobie wird: „Es gibt Menschen, die leiden unter einer sozialen Phobie, das heißt, sie haben Angst vor Situationen, bei denen sie im Mittelpunkt stehen oder kritisch von anderen beurteilt werden könnten, deshalb meiden sie soziale Situationen wie Partys oder andere Treffen. Sie finden auch häufig keinen Partner, weil sie zum Beispiel Angst haben, wenn sie eine Frau oder einen Mann ansprechen, dass sie dann eine Abfuhr bekommen”, so der Angstexperte im DLF. Er empfehle allen einsamen Menschen, die unter sozialen Ängsten leiden, sowohl den inneren Schweinehund zu überwinden und unter Menschen zu gehen als auch, sich einer Behandlung zu unterziehen. Diese Menschen seien aber auch oft „sehr wählerisch in ihrem Umgang”, so Bandelow weiter: „Menschen im höheren Alter treffen sich nicht mit anderen Menschen im hohen Alter, sondern möchten, dass ihre Kinder und Eltern kommen. Und wenn die nicht kommen, fühlen sie sich einsam. (…) Man müsste Menschen motivieren (…) auch nicht so sehr wählerisch zu sein, wen man dann gerne treffen möchte.” (rd/epd)
s.a. http://www.deutschlandfunkkultur.de/gesellschaft-brauchen-wir-einen-minister-fuer-einsamkeit.1008.de.html?dram:article_id=408775