“Green-Care” im Wendland

Da soll er hin, der Pflegehof, für den sich Jan Adams engagiert. Foto: Hinrichs

Die „Initiative Pflegehof“ plant im wendländischen Dorf Zernien ein Leuchtturmprojekt mit Pflege-Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz. Nach niederländischem Modell wollen die GründerInnen den Green-Care-Ansatz „neu denken“ und Natur und Tiere in die Versorgung von Menschen mit Demenz einbinden. Finanziert werden soll das Ganze auf Genossenschaftsbasis.

Die Initiatoren haben auch ihr Erspartes investiert – weil sie für ihr Projekt brennen. „Wir möchten das, was wir können, in etwas sinnvolles investieren, das die Welt ein Stück besser macht“, sagt Jan Adams. Der Betriebswirt, spezialisiert auf sozialökologische Projekte, spricht von sich und seiner Partnerin Dr. Katharina Rosteius. Sie entdeckte Green Care während ihres Studiums der Gesundheitsökonomie. Sie zog zwischenzeitlich sogar für zwei Monate lang in einem niederländischen Green-Care-Projekt ein und schrieb eine Doktorarbeit zur Versorgung von Menschen mit Demenz auf Green-Care-Farmen. In den Niederlanden gebe es sogar Wartelisten, hat sie dabei erfahren – nicht für Bewohner, sondern für Mitarbeitende, die nach erfüllenden Tätigkeiten suchen. Auf einem Hof arbeiteten sogar circa 70 Menschen freiwillig mit.


Schließlich kam die Idee einer Projekt-Gründung auf, und Jan Adams verfasste dafür einen Businessplan. Auf dem Weg, ihre Vision zu verwirklichen, trafen sie im Rahmen von Netzwerktreffen ihre heutigen Mitstreiter Oliver Czaia und Holger Hasse. Czaia bringt sein architektonisches Know-how ein, während der Ingenieur Holger Hasse insbesondere die Angehörigenperspektive vertritt. Als er Pflege für seine demente Mutter suchte, geriet er an eine Pflege-WG und stellte überrascht fest: „Hier würde ich selbst einziehen, es ist so schön“, wie er es im Rahmen einer Dialog-Diskussionsrunde zum Thema „Mit Demenz leben“ im Rahmen der Online-Reihe „Bock auf Dialog?“ schilderte.
Über ihn kam es auch zum Standort Zernien. Denn Holger Hasse lebt in dem 2000-Seelen-Dorf, in dem sich ein passendes Grundstück vis a vis einem Pflegeheim fand, das sich mehr an Kooperation denn an Konkurrenz interessiert zeigte. Die Gemeinde sieht das Modell auch als Chance, über zusätzliches Klientel eine lange gesuchte Hausärztin an den Ort zu binden. Eine Änderung des Bebauungsplans ist angeschoben – dauert aber. Inzwischen stünden die Chancen aber gut, dass der Bau 2026 starten kann, hofft Adams, der mit seiner Partnerin inzwischen eigens von Köln nach Neu Darchau gezogen ist.

Geplant sind vier WG’S für je zwölf BewohnerInnen


Geplant ist ein auf zwei Bauabschnitte verteiltes Rundlaufkonzept mit vier WGs für jeweils zwölf Bewohner, die sich jeweils aus einem Gemeinschaftshaus und vier Wohnhäusern zusammensetzen. Die Wohnhäuser sollen von Tiergehegen umgeben werden, die viel Aktivität und gleichzeitig eine natürliche Abgrenzung bieten. So können die Bewohner ihre „Hinlauf-Tendenzen“, ihren Bewegungsdrang, ausüben, ohne das Gefühl zu bekommen, eingesperrt zu sein. Ähnlich wie in dem Vorbild-Projekt Zorg Erf in den Niederlanden, von dem Jan Adams im Gespräch Fotos zeigt. Darauf zu sehen sind Schweine, Hühner, Pferde und viele Blumen.
Eine weitere Möglichkeit, Schlösser zu vermeiden: Tore mit Sensoren, bei deren Durchschreiten eine Klingel in der Küche angeht. „Es gibt auch Höfe, da steht unter dem Schloss der Code zum Öffnen“, erklärt Adams. Leichter Erkrankte können ihn nutzen, schwerer Erkrankte nicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt von Pflege-WGs, den Holger Hasse in der Online-Diskussionsrunde nannte: ein Miteinander, in dem sich alle gegenseitig helfen und auch die Bewohner Aufgaben erhalten. Ein solcher Ansatz könne den Verlauf der Erkrankung offenbar verlangsamen und mache das Leben auch mit Demenz lebenswert, hat er in der WG seiner Mutter beobachtet.

Modell soll auch auf andere Projekte übertragbar sein


Geplant werden soll in Modulsystemen, die auch auf andere Projekte übertragbar sind. Letzteres ist eine weitere Besonderheit des Ganzen: Der Zerniener Hof soll an anderen Standorten replizierbar sein. Dafür wird ein kostenloses Handbuch mitsamt Schulungskonzept erstellt. Aus EU-Mitteln für „Soziale Innovation“ flossen dafür voriges Jahr rund 400.000 Euro an die „Initiative Pflegehof GmbH“.
Der Pflegehof selbst soll sich allein tragen. Für Planung und Bau sind neun Millionen Euro kalkuliert, die über eine Bankfinanzierung und die Mitglieder der Genossenschaft realisiert werden sollen. Das Konzept lebt auch vom Engagement der Angehörigen, die in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden werden. Sie entscheiden z. B., ob beim Frühstück eine zusätzliche Kraft beauftragt wird. Bewohner müssen Genossenschaftsanteile kaufen, Miete zahlen und ambulante Pflege buchen. Was ist mit Alleinstehenden? „Für so ein Konzept eine Herausforderung“, sagt Jan Adams. „Wir wollen aber dafür sorgen, dass z. B. eine 12-Personen-WG auch Menschen ohne Angehörige aufnehmen kann.“
Trotz gemeinwohlorientierter Planung einer gemeinnützigen Genossenschaft „ohne Gewinnaufschlag“ werde das Leben im Hof etwas teurer als ein Heim. WGs würden gegenüber Heimen benachteiligt, bedauert Adams, und die Schere zwischen ambulanter und stationärer Pflege gehe – was die Finanzierung angehe – immer weiter auseinander.
Dabei sei eine Weiterentwicklung angezeigt. „Leute haben Angst vor dem Heim. Das zeigt, welches Problem wir haben.“ Wobei er Heime oder Pflegende keinesfalls verteufeln will, wie er betont. Aber sie wollen zeigen: „Wenn es zuhause nicht mehr geht, gibt es vitale Gemeinschaften. Solche, in denen Bewohner nicht nur körperlich versorgt werden, sondern auch Sinn empfinden, etwa wenn sie Tiere oder Pflanzen versorgen.“

„In Deutschland guckt man immer auf die Risiken”


„Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, warum wir die Versorgung von Alten als notwendiges Übel und nicht als gesellschaftliche Verpflichtung sehen“, macht Adams deutlich. In den Regelungen für den ambulanten Pflegebereich lägen aber nicht nur finanzielle Herausforderungen, sondern auch Chancen. Viele Heimgesetze betreffen sie nicht, und sie würden nicht so stark kontrolliert. Das mache Visionen möglich. Ein Beispiel: Pflegeheimbewohner dürfen Tomaten ziehen und Verwandten mitgeben – aber nicht selbst essen. Das schreiben meist die Hygienevorschriften vor.
Einfacher sei es vielfach in den Niederlanden: Was Dokumentationspflichten angeht, aber auch die Niedrigschwelligkeit. So sei im Nachbarland auch Tagespflege auf Privatgrundstücken möglich. „In Deutschland guckt man immer auf die Risiken“, stellt Jan Adams fest, und habe Angst, dass etwas passiert. „Die Frage, wer haftet, lähmt uns und nimmt uns Möglichkeiten, normalen Alltag zu leben.“
Anke Hinrichs

Stichwort: Green-Care

Unter Care Farming versteht man den Einsatz landwirtschaftlicher Betriebe zur Förderung körperlicher und geistiger Gesundheit von Menschen, indem diese entsprechend ihrer Fähigkeiten, Ziele und Wünsche in Alltagsaktivitäten eingebunden werden. In den Niederlanden gibt es schätzungsweise bereits über 1000 Care Farms, in Österreich, Belgien, Norwegen und Italien sollen es einige hundert sein (siehe auch www.greencare.at). Die Zielgruppen variieren: Norwegen, Schweiz und Schweden fokussieren sich auf Kinder und Jugendliche, während Belgien, die Niederlande, Großbritannien und Italien ein breites Spektrum betreuen: von Menschen mit Lernschwierigkeiten über ehemalige Psychiatrie-Patienten bis zu Alkoholabhängigen und Menschen mit Demenz. In Deutschland existieren bisher nur vereinzelte Ansätze von Pflege-WGs auf dem Land. Das Kompetenzzentrum Demenz in Schleswig-Holstein initiierte z.B. vor Jahren in Zusammenarbeit mit der Landwirtschaftskammer Betreuungsgruppen auf Bauernhöfen, die Betroffene stundenweise aktivieren und beschäftigen. (hin)