Tötungsdelikte in Psychiatrien in München und Bremen erregten in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit. Eine kleine Studie untersuchte Delikte in niedersächsischen Psychiatrien und stellte fest, dass es sich zwar um „Einzelereignisse handelt, die eine absolute Ausnahme sind, die trotz alledem aber immer wieder auftreten“. Vielleicht aber auch besser vermeidbar sind.
Kamilla Nagy starb am 31. Mai 2022 im Bad ihres Patientenzimmers in der Psychiatrie München-Haar. Eine Mitpatientin hatte sich von hinten genähert und mehr als zwanzig Mal mit einer Eisenstange auf ihren Kopf eingeschlagen. Dann schichtete sie eine Matratze und Bettzeug auf und zündete die damals 40-Jährige an. Die Täterin war am Tag zuvor erst in die Psychiatrie eingeliefert worden – sie hatte ihren Hund „auf Gottes Befehl“ mit einer Schere getötet und war von der Polizei ins Krankenhaus gebracht worden. Dort konnte sie sich offenbar ungehindert bewegen – bis der Rauchmelder der Station schließlich anschlug.
„Ganz erhebliche Überwachungsmängel und Behandlungsfehler”
Der Fall machte viele Schlagzeilen. Ein Gutachten der Staatsanwaltschaft München hatte das Klinikpersonal weitestgehend entlastet. Daraufhin gaben die Eltern von Kamilla Nagy ein eigenes Gutachten bei dem renommierten Mediziner Karl-Heinz Beine in Auftrag. Dieser kam zu einem anderen Schluss: Es würden „ganz erhebliche Überwachungsmängel und Behandlungsfehler“ vorliegen, so der Bayerische Rundfunk. Nach Recherchen von report München soll außerdem der Schließmechanismus der Zimmertür von Kamilla Nagy nicht funktioniert haben.
Viel Aufsehen erregte auch ein anderer Fall in Bremen. Heiligabend 2024, Klinikum Bremen-Ost: Eine 42-jährige Patientin der Psychiatrie drückt erst ein Kissen auf das Gesicht ihrer 62-jährigen Bettnachbarin, mit der sie sich ein Zimmer teilt. Als diese aus dem Bett fällt, würgt die 42-Jährige sie, bis sie tot ist. Der Prozess vor dem Bremer Landgericht endete vor Kurzem mit einem Freispruch und der Unterbringung der Täterin in der forensischen Psychiatrie.
„Tötungsdelikte sind seltene, aber wiederkehrende Ereignisse”
Nochmal Bremen, 25. Oktober 2022: Ein 27-Jähriger betritt das Zimmer einer Mitpatientin auf der Station 5a des Klinikums Ost und vergewaltigt die 71-Jährige. 2024 meldet eine weitere Patientin eine Vergewaltigung: In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai soll derselbe Patient die Frau in einem Gemeinschaftszimmer vergewaltigt haben. Beide Patientinnen sind schon verstorben, als es zum Prozess kommt. Weitere Übergriffe sind bei verschiedenen Klinikaufenthalten dokumentiert. Das Urteil: Freispruch und Unterbringung im Maßregelvollzug.
Tötungsdelikte in Kliniken für Psychiatrie sind seltene, aber wiederkehrende Ereignisse. Das Risiko zumindest für sexuelle Übergriffe, das legen verschiedene internationale Studien nahe, ist in Psychiatrien erhöht. Aber was folgt daraus? Die Eltern von Kamilla Nagy haben versucht, die Ärzte und das Pflegepersonal juristisch zur Verantwortung zu ziehen – fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Sie sind vor Gericht kürzlich mit dem Wunsch nach weiteren Ermittlungen gescheitert. Der Sohn der an Heiligabend in Bremen-Ost getöteten 62-Jährigen hat nach dem Prozess angekündigt, Anzeige gegen das Klinikum und ein weiteres Krankenhaus zu erstatten, auch hier geht es um den Verdacht der fahrlässigen Tötung.
Im Kern ist es immer dieselbe Frage, die nach solchen Gewalttaten aufkommt: Hätte man es nicht besser wissen müssen? Hätte man die späteren Opfer nicht besser schützen, die Täter nicht besser überwachen müssen? Dass einem ausgerechnet in der Psychiatrie, einem Ort, an dem man heilen soll, in dem man sich in einem ohnehin absolut vulnerablen Zustand befindet, so etwas passieren kann – für Betroffene und Hinterbliebene ein kaum zu fassender Widerspruch.
Taten fanden hauptsächlich in Patientenzimmern statt
In einer aktuellen Studie haben die Psychiaterin Prof. Dr. Anke Bramesfeld von der MHH Hannover und die Juristin Dr. Gesa Schirrmacher vom Niedersächsischen Sozialministerium „Tötungsdelikte in Kliniken für Psychiatrie aus der Metaperspektive eines Bundeslandes“ untersucht. Sie schreiben: „Das Versprechen, dass psychiatrische Krankenhäuser und insbesondere geschlossene Stationen sichere Orte sind – ein Versprechen, das wohl alle in einer Psychiatrie diensthabenden Ärztinnen und Ärzte schon einmal einer Patientin oder einem Patienten gegeben haben, und das auch die
Länder mit ihren Gesetzen über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke geben – wird durch diese Tötungsdelikte maximal konterkariert.“
In ihrer Untersuchung von vollendeten oder versuchten Tötungen in niedersächsischen geschlossenen Akutstationen konstatieren sie, dass die Taten in ihrem Erhebungszeitraum hauptsächlich in Patientenzimmern stattfanden – und diese nur in der Minderheit der Fälle von außen abschließbar gewesen seien. Eine Nachrüstung der Patientenzimmer mit entsprechenden Schließsystemen ist also entscheidend sowohl für mehr Sicherheit als auch für eine Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls und damit des Deeskalationspotentials.
Im Klinikum Bremen-Ost sind nach Angaben der Gesundheit Nord die Patientenzimmer „durchgehend mit von innen abschließbaren Türen ausgestattet. Zusätzlich gibt es auf allen Stationen Schutzzimmer, die nur mit einer Karte von außen geöffnet werden können“.
Das allerdings schützt nicht vor Übergriffen durch Bettnachbarn im eigenen Zimmer. Tatsächlich spielt die bauliche Ausstattung der Psychiatrie eine große Rolle, wie auch die „Planungshilfe deeskalierende psychiatrische Akutstationen“ des niedersächsischen Sozialministeriums zeigt.
“Gewaltprävention muss beim potentiellen Opfer ansetzen und nicht beim Täter”
Darin wird zwar festgehalten, dass etwa Einzelzimmer eine deeskalierende und stressreduzierende Wirkung auf Patienten haben – aber eben nicht für alle. Suizidgefährdete Patienten etwa sollten nicht in Einzelzimmern untergebracht sein. Von einer umfassenden Videoüberwachung oder von Sichtfenstern wiederum wird ebenfalls abgeraten, um eine Überwachungsatmosphäre zu vermeiden. Weil es hauptsächlich Frauen sind, die in psychiatrischen Akutstationen zu Opfern werden, sollte zumindest eine räumliche Trennung nach Geschlechtern in verschiedenen Bereichen möglich sein.
Die Anforderungen an eine deeskalierende Akutpsychiatrie, so viel wird klar, sind so vielfältig und in Teilen widersprüchlich, dass es fast aussichtslos erscheint, allen Anforderungen gleichzeitig gerecht zu werden. Denn was die Autorinnen der Studie zu Tötungsdelikten in niedersächsischen Akutpsychiatrien auch konstatieren: Ausgeführt wurden die erfassten Taten zumeist von Personen, die aufgrund ihrer Unterbringung und Diagnose nicht als akut fremdgefährdend galten. Gewaltprävention muss also, so die Schlussfolgerung, beim potentiellen Opfer ansetzen und nicht beim Täter. Das aber bedeutet: mehr Mitarbeiter, mehr Schulunm potentiellen Opfer ansetzen und nicht beim Täter. Das aber bedeutet: mehr Mitarbeiter, mehr Schulungen, mehr Einzelbetten – also mehr Geld. Karolina Meyer-Schilf
Die Studie:
In den Jahren 2016 bis August 2024 meldeten die 27 Kliniken der Erwachsenenpsychiatrie und 12 Kliniken der Kinder- und Jugendpsychiatrie 13 Vorkommnisse zu insgesamt 8 vollendeten sowie 5 versuchten Tötungsdelikten. Aus der – 2025 veröffentlichten – Untersuchung der Fälle ziehen die Autorinnen den Schluss: Tötungsversuche oder -delikte durch Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Kliniken gehen nicht zwingend von Menschen aus, die zuvor durch ein auffälliges Gewaltpotenzial erkennbar waren. Prävention müsse daher stärker beim Schutz möglicher Opfer ansetzen. Dazu gehören bauliche Maßnahmen wie Patientenzimmertüren, die von außen verschließbar sind und sich nur durch befugte Personen – darunter auch die Bewohnerinnen und Bewohner selbst – öffnen lassen. Auch die Unterbringung in Einzelzimmern könne das Risiko verringern. Zudem wird über den Einsatz von Notfallsendern für Patientinnen und Patienten diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit benötigten Menschen mit einem erhöhtem Risiko, etwa körperlich oder geistig beeinträchtigte Personen mit hohem Pflegebedarf. Auf Akutstationen sollten sie möglichst nicht untergebracht werden – vor allem dann nicht, wenn sie bettlägerig sind. (rd)