Das Schreiben der Angehörigen

Schreiben kann bei der Verarbeitung schmerzhafter Ereignisse helfen. Foto: unsplash

Sie ist selbst Angehörige – und engagiert: Infolge einer schweren psychischen Erkrankung ihres Sohnes wurde Marita Lamparter aus Hamburg u.a. als Peer-Beraterin in der psychiatrischen Tagesklinik Altona sowie als Angehörigen-Vertreterin im Koog-Haus in Brunsbüttel aktiv. Als Germanistin begann sie auch in der Literatur nach Erklärungen und Strategien für das Leben von Familien zu suchen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Daraus wurden zunächst Seminare, nun folgte ein Buchvorhaben. Jüngstes „Studienobjekt“ ist das literarisch aufgearbeitete Verhältnis von Peter Handke zu seiner Mutter.


Doch los ging es mit einem Vater: 2017 machte Marita Lamparter das Verhältnis von James Joyce zu seiner an Schizophrenie erkrankten Tochter Lucia zum Thema eines Seminars des Hamburger Angehörigenverbandes. Anschließend widmete sie sich dem Verhältnis von Paaren, und zwar am Beispiel der Ehemänner zweier berühmter psychisch kranker Schriftstellerinnen: Leonard Woolf, verheiratet mit Virginia Woolf, sowie Ted Hughes, dem Mann von Sylvia Plath (nachzulesen unter https://eppendorfer.de/tag/marita-lamparter/).


Und dann gibt es die Söhne. Den Humoristen Heinz Strunk etwa, der über das Leben seiner Mutter schrieb, die – als er zwölf war – an einer schizoaffektiven Psychose erkrankte und die er später, als Erwachsener, vier Jahre in seiner Wohnung pflegte. 2004 erschien sein stark autobiografisch gefärbtes Buch „Fleisch ist mein Gemüse“. Im Alter von 18 Jahren erkrankte er dann auch selbst an einer „Cannabis-Psychose“ sowie an Angstproblemen und Depressionen. Die Französin Violine Huismann wiederum beschrieb in ihrem Roman „Die Entflohene“ ihre Geschichte als Tochter einer manisch-depressiven Mutter.

Peter Handke klagte an: „das patriarchale System, die unglückliche Ehe“


Peter Handke hingegen verarbeitet in „Wunschloses Unglück“ den Suizid seiner Mutter. „Er klagt an: das patriarchale System, die unglückliche Ehe“, so Marita Lamparter. Die Mutter sei Basis seiner Kreativität gewesen, habe ihn gefördert, schon als kleines Kind zum Erzählen ermuntert, in dem sie ihn etwa in den Wald schickte mit dem Auftrag, ihr hinterher zu erzählen, was er gesehen habe. Auch habe sie ihm den Bezug zum Reichtum der slowenischen Sprache vermittelt. In anspruchsvollen Briefen habe sie ihn später, als er schon berühmt war, nach seinen neuen Stücken gefragt. „Sie war seine erste Leserin“, so Marita Lamparter.
Was ist die Quintessenz aus Handkes Unglücksverarbeitung für Angehörige? „Er hat die Verzweiflung der Angehörigen sehr gut in Worte gefasst. Auch die Wut“, so Marita Lamparter. Es sei typisch, nach einem Suizid einen Schuldigen finden zu wollen. „Die Anklage, die Schuldigen-Suche, gehören zum Prozess.“ Es sei auch eine typische Mutter-Sohn Dynamik. „Er hat mal ironisch gesagt: ,Was mich betrifft, war ich wohl der gereizte Partner einer liebenden älteren Frau.’“ Mutter und Sohn „bildeten über die Sprache und Literatur eine Einheit“.


Und was ist nun der Mehrwert der Literatur insgesamt für die Angehörigen von psychisch kranken Menschen? „Das Schöne und Hilfreiche an der Literatur ist, dass hier Worte für psychische Zustände gefunden wurden“, sagt Marita Lamparter. „Wir können uns in der Literatur spiegeln und wenn wir über Schriftsteller oder literarische Figuren sprechen, sprechen wir auch auf eine gute Art, wie ich finde, über uns selbst.“ Anke Hinrichs (Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 4/24)