Vor dem Hintergrund einer unzureichend inklusiven Gesellschaft können Hilfen zum Suizid Menschen mit einer Behinderung bedrohen. Das ist das Ergebnis einer Podiumsdiskussion in Bremen, zu der Bremens Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein und der Verein „Selbstbestimmt Leben“ eingeladen haben. „Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, um vulnerable Gruppen zu schützen“, forderte Frankenstein und warnte: „Die Hilfe zum Suizid darf nicht allein denen überlassen bleiben, die sie geschäftsmäßig betreiben.“
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 entschieden, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, sich das Leben und dabei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Nach dem Urteil wurde über eine neue Regelung debattiert, die diese Form der Sterbehilfe rechtssicher ermöglicht, gleichzeitig aber vor Missbrauch schützt. Im vergangenen Jahr scheiterten dazu zwei Vorschläge im Bundestag. Die Suizidassistenz bleibt damit ein rechtlicher Graubereich.
Wie Frankenstein und andere Teilnehmende an der Diskussion warnte die Bremer Behindertenpädagogin und Aktivistin Swantje Köbsell davor, dass gerade die Unzulänglichkeiten der inklusiven Gesellschaft für Menschen mit einer Behinderung das Problem zuspitzen. „Eine anhaltend schwierige Lebenssituation kann zu Todeswünschen führen.“ Sterbewünsche behinderter Menschen, die vor diesem Hintergrund entstünden, „haben nichts mit Selbstbestimmung zu tun“.
Zusätzlich verschärft werde die Situation durch ökonomischen Druck und ein erstarkendes Klima, das Menschen mit Behinderungen ihren Wert abspreche. Köbsell befürchtet daher eine Entwicklung „vom Recht auf Sterben zur Pflicht zum Sterben für bestimmte Personengruppen“. Auch der Bremer Palliativmediziner Christof Ronge warnte, das sogenannte Recht auf Hilfe durch Dritte schwäche die Position hilfebedürftiger Menschen.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Zahl der Fälle, in denen Sterbehilfe über Organisationen in Anspruch genommen wird, deutlich gestiegen. Wie die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“ in Berlin mitteilte, haben von diesem Verein vermittelte Ärzte im vergangenen Jahr 419 Menschen bei der Selbsttötung geholfen. 2022 waren es 227 Fälle, im Jahr davor 120.
(epd)
(Weiterer ausführlicherer Bericht zum Thema „Hilfe zum Suizid” in der nächsten Printausgabe 3/24, die Anfang Mai erscheint)