„Wie die anderen“: eine Kinderpsychiatrie-Doku

Über eineinhalb Jahre hat Regisseur Constantin Wulff den Alltag der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im niederösterreichischen Landesklinikum in Tulln verfolgt. Der daraus entstandene Dokumentarfilm „Wie die anderen“ verzichtet auf Interviews und Off-Kommentare und zeichnet ein unaufgeregtes, realistisches Bild der Institution Psychiatrie. So nah war der Zuschauer selten dran.

Alle fragen sich, warum ich so seltsam bin“, sagt eingangs Leonie. „Dabei wäre ich gern genauso wie die anderen. Ich hoffe, ich werde mich bald ändern, sodass ich wie die anderen sein kann.“ Die Facetten des institutionellen und des individuellen Umgangs der Klinikmitarbeiter mit dem krankhaften Anderssein werden sehr „normal“ dargestellt. Gedreht im so genannten Direct Cinema-Modus, bekommt der Zuschauer bald das Gefühl, dabei zu sein. Bei der Aufnahme eines Patienten, bei vielen Teambesprechungen. Ja, sogar bei Fixierungen – beim Zurechtlegen der Gurte und per Bildschirm, über den die junge Patientin videoüberwacht wird.

Abläufe werden gezeigt, viel Dokumentation. Diagnostische Tests, Therapieausschnitte, Klinikschule. Einzelfälle. Ein Junge etwa, bei dem eine Art „Burn-out“ diagnostiziert wird, der mit den Anforderungen schon so früh im Leben nicht zurechtkommt. Besonders oft ins Bild rückt Lea. Ein Mädchen, das sich exzessiv ritzt, dessen Arm von Narben übersät ist. Immer wieder sitzt sie vor ihrem Psychiater, der ihr Blutbild überwacht und daran ihren Krankheitszustand erkennen kann. Er kommt mit der Patientin nicht weiter. Erschütterndes lässt sich aus Dienstbesprechungen heraushören: Da wird über ein zehnjähriges Mädchen gesprochen, das mit Blut im Stuhl in die Klinik eingeliefert wurde und bei dem sexueller Missbrauch vermutet wird. Wie soll sich das Team verhalten? Übt es zuviel Druck aus, schweigt das Kind womöglich weiter, so die Befürchtung, also besser noch abwarten? Bei einem achtjährigen Jungen steht schwerste Misshandlung im Raum – kann man es wagen, ihn nach Hause zu entlassen?

Psychiatrie ist in vieler Hinsicht ein ständiger Balanceakt der dort arbeitenden, das wird immer wieder deutlich. Auch weil es an Personal mangelt. Dieser Druck entlädt sich in einer emotional hochgeladenen Schlüsselszene, in der sich eine Ärztin auch gegen den Chefarzt Paulus Hochgatterer wendet – der seine Psychiatrieeinblicke in die Gesellschaft übrigens auch als Schriftsteller in Krimis verarbeitet. „Es gehe nicht mehr“, wird ihm von den Mitarbeitern gesagt. Er verweist auf den auch in Österreich akuten Facharztmangel. Wenn kein neuer Arzt komme, müsse etwas gestrichen werden, so darauf die Kollegin. „Wir können nicht alles kompensieren.“
Der Regisseur des Films, Constantin Wulff, hatte zuvor in „In die Welt“ eine Geburtsklinik porträtiert und sieht „Wie die anderen“ als eine Art Fortsetzung.

Die Kinder- und Jugendpsychiatrie sei für die meisten eigentlich ein unbekannter Ort, so Wulff im Presseheft, psychische Krankheiten würden unter anderem stigmatisiert „weil angemessene Bilder dafür fehlen“, meint er. Dem setzt er nun seinen Film entgegen. Sehr empfehlenswert! Anke Hinrichs
www.wiedieanderen.at